GOTTFRIED SEMPER: DIE SGRAFFITODEKORATION (1868)
Auszug aus: »Kunstchronik - Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst« - III. Jahrgang, Nr. 6 - io Januar 1868.
Man hat mich von verschiedenen Seiten um Auskunft über das Verfahren bei Ausführung von Sgraffitidekoratio-
nen auf äußeren Putzflächen befragt, was ich gern der Öffentlichkeit zu übergeben bereit bin, für den Fall, daß sie
dazu genügendes Interesse gewähren sollte.
Wirklich scheint sich die allgemeine Aufmerksamkeit der Architekten und Dekorateurs endlich diesem uralten
Verzierungsverfahren wieder zugewandt zu haben, nachdem ich dasselbe schon vor mehr als 20 Jahren zum ersten
Male wieder seit der Zeit der Renaissance für Deutschland ins Leben gerufen hatte:
zuerst bei der dekorativen Ausstattung der oberen Wandflächen des Königl. Hoftheaters zu Dresden und
bald nachher zur Ausschmückung der Fassade eines Wohnhauses in Hamburg. Viel später (erst in den letzten Jah-
ren) fand sich Gelegenheit für mich, auch am Eidgenössischen Polytechnikum zu Zürich und an der Sternwarte
ebendaselbst die gleiche Verzierung anzubringen.
Diese Technik empfiehlt sich überall, wo die Baukunst gezwungen ist, zur Bekleidung der äußeren Mauerflächen
den Putzmaurer zu gebrauchen, zunächst und ganz besonders dadurch, daß sie recht eigentlich dem Bereiche dieses
Baugewerbes angehört, dessen im allgemeinen gering geachteter Anteil am Bauen dadurch Bedeutung erlangt und
der Kunst sich nähert. Die Sgraffitozeichnung hat in dieser Beziehung, weil sie so ganz mit der Technik des Tün-
chers verwachsen und eins ist, im Stil den Vorzug vor der Freskomalerei, welche letztere übrigens im Technischen
sehr nahe mit jener verwandt ist, insofern nämlich beide Methoden der Wanddekoration einen feuchten und noch
weichen Mittelgrund bedingen, daher auch nur rasch und stückweise arbeiten. -
Das Verfahren, dunkle Flächen mit einer helleren (anfangs weichen) Decke zu überziehen und dann durch Aus-
kratzen von Teilen des Überzugs und Bloßlegen des darunterliegenden dunklen Grundes Formen und Zeichnun-
gen hervorzurufen, ist, wie gesagt, uralt. Wie es scheint, ist es zuerst in der Töpferei angewandt worden, wenig-
stens bieten archaische Vasen Griechenlands und Etruriens die ältesten Beispiele seiner Anwendung (Arkesilas-
vase). Welche Anwendung dieses Verfahren ferner in der Baukunst der alten Völker fand, darüber scheinen die
Nachrichten zu fehlen, wenigstens sind sie mir unbekannt geblieben. Ob auch das hohe Mittelalter dasselbe kannte
und zu Wanddekorationen oder sonstwie benutzte, darüber zu urteilen fehlen mir gleichfalls bestimmte Anhalte,
doch ist es mir, als hätte ich Spuren linearer Verzierungen, schwarz auf weißem Putzgrunde in Sgraffitomanier aus-
geführt, an einigen der gotischen Zeit angehörigen Fachwerksgebäuden auf meinen Reisen gesehen.
Dem sei nun wie ihm wolle, so bleibt gewiß, daß erst mit dem 15. Jahrhundert, als man in Italien anfing, große
Fassadenflächen mit Putzmörtel zu bekleiden, die Sgraffitomalerei allgemeinere Aufnahme fand und sich von
Italien auch auf die nördlichen Länder verbreitete (Prag, Augsburg, München).
In Italien hält sie sich bis gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts (verschiedene der Spätrenaissance angehörige Paläste
in Florenz und Pisa), in welcher Zeit sie aber ihren Halt verliert und infolge der allgemeinen Entartung des Ge-
schmacks zuerst in Schnörkel verfließt, zuletzt ganz verschwindet, als zu nüchtern und allen den angewandten
Künsten zum Trotz zu wirkungslos. Auch im Technischen zeigt sich ein rascher Verfall. Die späteren Sgraffito-
flächen sind mürbe und bröcklig, weil erdige Farbstoffe zur Bereitung des dunklen Mörtelgrundes benutzt wurden.
Die Technik, um welche es sich handelt, ist ein Zeichnen al fresco, d. h. in den nassen Mörtel. Von der Bereitung des
letzteren und der Art seines Auftrages ist sowohl das Gelingen der Zeichnung wie auch die Dauerhaftigkeit des
Wandschmuckes abhängig. Dabei kommen vor allem folgende zwei Punkte in Betracht: erstens daß der Mörtel lang-
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Auszug aus: »Kunstchronik - Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst« - III. Jahrgang, Nr. 6 - io Januar 1868.
Man hat mich von verschiedenen Seiten um Auskunft über das Verfahren bei Ausführung von Sgraffitidekoratio-
nen auf äußeren Putzflächen befragt, was ich gern der Öffentlichkeit zu übergeben bereit bin, für den Fall, daß sie
dazu genügendes Interesse gewähren sollte.
Wirklich scheint sich die allgemeine Aufmerksamkeit der Architekten und Dekorateurs endlich diesem uralten
Verzierungsverfahren wieder zugewandt zu haben, nachdem ich dasselbe schon vor mehr als 20 Jahren zum ersten
Male wieder seit der Zeit der Renaissance für Deutschland ins Leben gerufen hatte:
zuerst bei der dekorativen Ausstattung der oberen Wandflächen des Königl. Hoftheaters zu Dresden und
bald nachher zur Ausschmückung der Fassade eines Wohnhauses in Hamburg. Viel später (erst in den letzten Jah-
ren) fand sich Gelegenheit für mich, auch am Eidgenössischen Polytechnikum zu Zürich und an der Sternwarte
ebendaselbst die gleiche Verzierung anzubringen.
Diese Technik empfiehlt sich überall, wo die Baukunst gezwungen ist, zur Bekleidung der äußeren Mauerflächen
den Putzmaurer zu gebrauchen, zunächst und ganz besonders dadurch, daß sie recht eigentlich dem Bereiche dieses
Baugewerbes angehört, dessen im allgemeinen gering geachteter Anteil am Bauen dadurch Bedeutung erlangt und
der Kunst sich nähert. Die Sgraffitozeichnung hat in dieser Beziehung, weil sie so ganz mit der Technik des Tün-
chers verwachsen und eins ist, im Stil den Vorzug vor der Freskomalerei, welche letztere übrigens im Technischen
sehr nahe mit jener verwandt ist, insofern nämlich beide Methoden der Wanddekoration einen feuchten und noch
weichen Mittelgrund bedingen, daher auch nur rasch und stückweise arbeiten. -
Das Verfahren, dunkle Flächen mit einer helleren (anfangs weichen) Decke zu überziehen und dann durch Aus-
kratzen von Teilen des Überzugs und Bloßlegen des darunterliegenden dunklen Grundes Formen und Zeichnun-
gen hervorzurufen, ist, wie gesagt, uralt. Wie es scheint, ist es zuerst in der Töpferei angewandt worden, wenig-
stens bieten archaische Vasen Griechenlands und Etruriens die ältesten Beispiele seiner Anwendung (Arkesilas-
vase). Welche Anwendung dieses Verfahren ferner in der Baukunst der alten Völker fand, darüber scheinen die
Nachrichten zu fehlen, wenigstens sind sie mir unbekannt geblieben. Ob auch das hohe Mittelalter dasselbe kannte
und zu Wanddekorationen oder sonstwie benutzte, darüber zu urteilen fehlen mir gleichfalls bestimmte Anhalte,
doch ist es mir, als hätte ich Spuren linearer Verzierungen, schwarz auf weißem Putzgrunde in Sgraffitomanier aus-
geführt, an einigen der gotischen Zeit angehörigen Fachwerksgebäuden auf meinen Reisen gesehen.
Dem sei nun wie ihm wolle, so bleibt gewiß, daß erst mit dem 15. Jahrhundert, als man in Italien anfing, große
Fassadenflächen mit Putzmörtel zu bekleiden, die Sgraffitomalerei allgemeinere Aufnahme fand und sich von
Italien auch auf die nördlichen Länder verbreitete (Prag, Augsburg, München).
In Italien hält sie sich bis gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts (verschiedene der Spätrenaissance angehörige Paläste
in Florenz und Pisa), in welcher Zeit sie aber ihren Halt verliert und infolge der allgemeinen Entartung des Ge-
schmacks zuerst in Schnörkel verfließt, zuletzt ganz verschwindet, als zu nüchtern und allen den angewandten
Künsten zum Trotz zu wirkungslos. Auch im Technischen zeigt sich ein rascher Verfall. Die späteren Sgraffito-
flächen sind mürbe und bröcklig, weil erdige Farbstoffe zur Bereitung des dunklen Mörtelgrundes benutzt wurden.
Die Technik, um welche es sich handelt, ist ein Zeichnen al fresco, d. h. in den nassen Mörtel. Von der Bereitung des
letzteren und der Art seines Auftrages ist sowohl das Gelingen der Zeichnung wie auch die Dauerhaftigkeit des
Wandschmuckes abhängig. Dabei kommen vor allem folgende zwei Punkte in Betracht: erstens daß der Mörtel lang-
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