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EINFÜHRUNG

»Unsere Liebe %u einer Stadt ist oft eine heimliche Liebe. Städte wie Paris oder Prag oder sogar Floren^ gehen nicht leicht aus
sich heraus und gefallen sich in dieser Zurückhaltung.« Albert Camus
Das Straßenbild des heutigen Florenz wirkt ernst, es ist von der stolzen Strenge geprägt, die den Florentiner selbst
kennzeichnet. Was wir über die profane Architektur der Stadt und die Dekoration der Häuserfronten wissen,
beschränkt sich auf die im Verhältnis zum Ganzen wenigen Paläste, deren Fassaden vollständig aus Naturstein in
Rustika oder regelmäßig behauenen Quadern errichtet sind, berühmt durch mächtige Bauherren, wie die Pitti,
Medici, Rucellai, Strozzi, Antinori, gerühmt trotz mancher Unsicherheit als Werke der großen Florentiner Renais-
sance-Baumeister. Alle übrigen, aus verputztem Bruchsteinmauerwerk errichteten Wohnbauten wurden von der
Wissenschaft kaum berücksichtigt, obwohl sie es sind, die das Straßenbild bestimmen: weder der Wandel ihres
Typus wurde erforscht noch die Art und Weise ihrer Dekoration, ja, es konnte weithin in Vergessenheit geraten,
daß sie überhaupt eine malerische Dekoration besaßen, da ihre originalen Putzflächen in den letzten Jahrzehnten
rapide verfallen sind. Das ungeübte Auge vermag an diesen Fassaden mit ihren ausgewaschenen Grautönen nur
schwer Spuren eines Schmuckes zu erkennen, geschweige denn sich eine Gesamtdekoration vorzustellen. Dieser
karge Zustand läßt das ohnehin sehr geschlossene Straßenbild mit seinen nur selten geöffneten Toren und Fenster-
läden noch abweisender und verschlossener erscheinen. Die Unvereinbarkeit des heutigen Eindrucks der Haus-
fassaden in Florenz und Toskana mit unserer Vorstellung von der Ganzheit der Renaissancekunst löste die Frage
nach ihrem ursprünglichen Aussehen aus. Je schwerer die Antwort zu finden war, desto dringlicher wurde der
Wunsch nach einer systematischen Untersuchung. In ihrem Verlauf gelang es, in den vergangenen neun Jahren
etwa 120 Fassadendekorationen nachzuweisen, von denen noch gut die Hälfte - wenn auch oft nur fragmen-
tarisch - erhalten ist. Ihre bildliche Dokumentation durch Aufnahmen älteren Datums (die die Monumente in
weit besserem Zustand als heute zeigen) sowie durch viele neue Detailfotos vermag diese aus unserem Bewußtsein
geschwundene Spezies toskanischer Wanddekoration wohl noch in ihrer Vielfalt und besonders in ihrer Kontinui-
tät zu rekonstruieren. Denn die hier nachgewiesenen Monumente reihen sich Jahrzehnt für Jahrzehnt vom späten
Trecento bis ins frühe Seicento. In dem durch Witterung, Kriege, Geschmackswandel und Stadtplanung ange-
griffenen Straßenbild von heute tritt davon nur noch wenig in Erscheinung, doch - nicht zuletzt dank getreuer
Restaurierungen - eben noch genug, um die Ergebnisse unserer Forschungen und die einstige Bedeutung
dieser Kunstform lebendig werden zu lassen.
Jakob Burckhardt erkannte als erster den Rang und das Ausmaß der Fassadendekoration der Renaissance. 1855
schrieb er im »Cicerone«: »Es gab schon seit Anfang der Renaissance eine Verzierung der Fassaden, wie sie dem
schmucklustigen Jahrhundert zusagte, den Quellen zufolge« (Vasaris Biografien) »muß das Erhaltene zum Ver-
lorenen in einem winzigen Verhältnis stehen.« Das Problem der Einheit von Architektur und Dekoration resul-
tierte für ihn in der Frage »wie weit die architektonische Komposition auf diesen Schmuck rechnete«. Der hohe
Wert, den er der »Fassadenmalerei« zumaß - worunter er alle an verputztem Mauerwerk möglichen Dekorations-
arten zusammenfaßte - spricht aus seiner 1867 in der »Geschichte der Renaissance« erhobenen Forderung, sie
»müßte im Auftrag einer Regierung in guten Aufnahmen gerettet werden«. Doch blieb er damals leider ungehört.
Einen ersten Vorstoß zur systematischen Erforschung der Renaissancearchitektur unternahmen Stegmann und

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