Meinungen
Opinions
Dieser Vortrag wurde in einem Seminar der
AGW (Arbeitsgruppe für Grafik und Wirtschaft)
am 25. März 1965 gehalten. Er wird hier in
erweiterter Form veröffentlicht. Anregungen zu
einer visuellen Rhetorik gingen aus von
Tomas Maldonado, der im semiotischen Semi-
nar 1956 in das Neuland einer modernen
Rhetorik vorstieß.
This article is based on a Conference given
before the AGW (Working Group for Graphic
Design and Industry, Stuttgart) on March 25,
1965. It was Tomas Maldonado who in 1956
in a seminar on semiotics at the HfG entered
the Virgin territory of modernized rhetoric.
Gui Bonsiepe
Visuell/verbale Rhetorik
Visual/verbal Rhetoric
Anmerkung zur Terminologie
Aus der englischen Fachliteratur wurde vor
einigen Jahren der Ausdruck 'referent' ins
Deutsche übernommen (Maldonado, T. “Beitrag
zur Terminologie der Semiotik“, Ulm 1961).
'Referent' läßt sich umgangssprachlich — un-
zureichend zwar — mit ‘Bedeutung’ um-
schreiben. Der Verfasser entschied sich aus
verschiedenen Gründen dafür, den Ausdruck
‘Referent' durch den Ausdruck 'Relatum'
zu ersetzen. Inzwischen ist das “Lexikon der
Kybernetik“ erschienen, in das der Ausdruck
‘Referent' eingeführt ist. Dem Leser ist somit
anheimgestellt, die hier verwendeten Be-
zeichnungen 'Relatum' bzw. 'Relata' durch die
Bezeichnung 'Referent' bzw. 'Referenten' zu
ersetzen. Sie sind synonym.
A note on terminology
The term 'relatum' and its plural 'relata' are
Synonyms of the term 'referent' respectively
'referents'.
Die Rhetorik ist, wenn auch nicht in Verruf,
so doch fast in Vergessenheit geraten.
Verglichen mit früheren Epochen führt sie ein
Schattendasein. An den Schulen wird sie
nicht oder kaum mehr gelehrt. Gepflegt wird
sie allenfalls noch in einigen philologischen
Seminaren, und zwar als literarische Rhetorik.
Diese wählt zum Gegenstand der Betrach-
tung literarische Produkte, vornehmlich
Dramen und poetische Werke, seltener Prosa-
stücke.
Herstammend aus der Antike ist die Rhetorik
mit einer altertümlichen Aura behaftet. Auf
den ersten Blick scheint sie sich nicht für die
Behandlung von modernen rhetorischen Phä-
nomenen zu eignen, nämlich für die Behand-
lung von Werbeinformationen. Daß derglei-
chen dennoch möglich ist, daß eine moderne
Rhetorik ein brauchbares deskriptives und
analytisches Instrument für Phänomene der
Werbung sein kann, wird darzulegen sein.
Die Rhetorik als Redekunst ist in der grie-
chischen Antike auf drei Bereiche bezogen:
auf den politischen Bereich, auf den juri-
stischen Bereich und auf den sakralen Bereich.
Zum Inhalt hatte sie den Aufbau, die stilisti-
schen Formulierungen, die Vortragsweise und
Gestik von Reden in Volksversammlungen,
in Rechtsverhandlungen und bei feierlichen
Anlässen. Politiker, Juristen und Priester
waren vorzugsweise die Adepten der Rhetorik,
insofern ihnen daran gelegen war, durch die
Mittel der Rede ein Publikum zu bestimmten
Entschlüssen und Meinungen und Stim-
mungen zu bewegen — zu einem Entschluß
über einen zu unternehmenden Kriegszug, zu
einer Meinung über einen Angeklagten, zu
einer Stimmung im Rahmen einer religiösen
Zeremonie.
Dazu waren viele Mittel recht. “Die Rhetorik
ist der ausgezeichnete Ort des Herumbalgens,
der Beleidigung und Brüskierung, des Zanks
und Streits, der Arglist und der Lüge, und
zwar der kaschierten Arglist und der geplan-
ten Lüge.“ (Burke, K. 'A Rhetoric of Motives’
S. 19, New York 1955). Die Domäne der
Rhetorik ist die Domäne der Logomachie,
des Wortkampfes.
Die Rhetorik gliedert sich in zwei Bereiche:
zum einen beinhaltet sie den Gebrauch von
persuasiven Mitteln (rhetorica Utens), zum
Rhetoric has fallen not so much into disrepute
as into virtual oblivion. It is but a shadow
of its former seif. It is taught little if at all in
the schools. And in the few advanced
philological curricula which still include
it, it is its literary aspects that receive the
emphasis with the focus on poetry and drama
rather than prose.
Rhetoric has come down to us from ancient
times with an aura of antiquity about it. At first
sight it seems unfitted for handling the
message of the advertiser, which is the rhe-
toric of the modern age. Yet it can be shown
that a modern System of rhetoric might be
a useful descriptive and analytical Instrument
for dealing with the phenomena of advertising.
To explain just how it might be used in
this way is the aim of this article.
The ancient Greeks divided rhetoric as the art
of eloquence into three parts: the political,
the legal and the religious. It dealt with the
speeches given before public assemblies, in
legal pleadings and on solemn occasions
and set out to show how they should be con-
structed, how they should be formulated
stylistically, how they should be delivered and
what gestures should accompany them.
It was primarily the politicians, lawyers and
priests who were adepts in rhetoric since
it was their business to use speech to work
on their public so as to obtain a definite
decision, implant an opinion or evoke a mood:
a decision on a campaign of war, an opinion
concerning the prisoner at the bar, a mood in
a religious ceremony. To this end there
were many means. “Rhetoric is par excellence
the region of the Scramble, of insult and
injury, bickering, squabbling, malice and the
lie, cloaked malice and subsidized lie.“
(Burke K. ’A Rhetoric of Motives’ p. 19,
New York 1955). The domain of rhetoric is
the domain of logomachy, the war of words.
Rhetoric divides into two kinds: one is
concerned with the use of persuasive means
(rhetorica Utens) and the other with des-
23
Opinions
Dieser Vortrag wurde in einem Seminar der
AGW (Arbeitsgruppe für Grafik und Wirtschaft)
am 25. März 1965 gehalten. Er wird hier in
erweiterter Form veröffentlicht. Anregungen zu
einer visuellen Rhetorik gingen aus von
Tomas Maldonado, der im semiotischen Semi-
nar 1956 in das Neuland einer modernen
Rhetorik vorstieß.
This article is based on a Conference given
before the AGW (Working Group for Graphic
Design and Industry, Stuttgart) on March 25,
1965. It was Tomas Maldonado who in 1956
in a seminar on semiotics at the HfG entered
the Virgin territory of modernized rhetoric.
Gui Bonsiepe
Visuell/verbale Rhetorik
Visual/verbal Rhetoric
Anmerkung zur Terminologie
Aus der englischen Fachliteratur wurde vor
einigen Jahren der Ausdruck 'referent' ins
Deutsche übernommen (Maldonado, T. “Beitrag
zur Terminologie der Semiotik“, Ulm 1961).
'Referent' läßt sich umgangssprachlich — un-
zureichend zwar — mit ‘Bedeutung’ um-
schreiben. Der Verfasser entschied sich aus
verschiedenen Gründen dafür, den Ausdruck
‘Referent' durch den Ausdruck 'Relatum'
zu ersetzen. Inzwischen ist das “Lexikon der
Kybernetik“ erschienen, in das der Ausdruck
‘Referent' eingeführt ist. Dem Leser ist somit
anheimgestellt, die hier verwendeten Be-
zeichnungen 'Relatum' bzw. 'Relata' durch die
Bezeichnung 'Referent' bzw. 'Referenten' zu
ersetzen. Sie sind synonym.
A note on terminology
The term 'relatum' and its plural 'relata' are
Synonyms of the term 'referent' respectively
'referents'.
Die Rhetorik ist, wenn auch nicht in Verruf,
so doch fast in Vergessenheit geraten.
Verglichen mit früheren Epochen führt sie ein
Schattendasein. An den Schulen wird sie
nicht oder kaum mehr gelehrt. Gepflegt wird
sie allenfalls noch in einigen philologischen
Seminaren, und zwar als literarische Rhetorik.
Diese wählt zum Gegenstand der Betrach-
tung literarische Produkte, vornehmlich
Dramen und poetische Werke, seltener Prosa-
stücke.
Herstammend aus der Antike ist die Rhetorik
mit einer altertümlichen Aura behaftet. Auf
den ersten Blick scheint sie sich nicht für die
Behandlung von modernen rhetorischen Phä-
nomenen zu eignen, nämlich für die Behand-
lung von Werbeinformationen. Daß derglei-
chen dennoch möglich ist, daß eine moderne
Rhetorik ein brauchbares deskriptives und
analytisches Instrument für Phänomene der
Werbung sein kann, wird darzulegen sein.
Die Rhetorik als Redekunst ist in der grie-
chischen Antike auf drei Bereiche bezogen:
auf den politischen Bereich, auf den juri-
stischen Bereich und auf den sakralen Bereich.
Zum Inhalt hatte sie den Aufbau, die stilisti-
schen Formulierungen, die Vortragsweise und
Gestik von Reden in Volksversammlungen,
in Rechtsverhandlungen und bei feierlichen
Anlässen. Politiker, Juristen und Priester
waren vorzugsweise die Adepten der Rhetorik,
insofern ihnen daran gelegen war, durch die
Mittel der Rede ein Publikum zu bestimmten
Entschlüssen und Meinungen und Stim-
mungen zu bewegen — zu einem Entschluß
über einen zu unternehmenden Kriegszug, zu
einer Meinung über einen Angeklagten, zu
einer Stimmung im Rahmen einer religiösen
Zeremonie.
Dazu waren viele Mittel recht. “Die Rhetorik
ist der ausgezeichnete Ort des Herumbalgens,
der Beleidigung und Brüskierung, des Zanks
und Streits, der Arglist und der Lüge, und
zwar der kaschierten Arglist und der geplan-
ten Lüge.“ (Burke, K. 'A Rhetoric of Motives’
S. 19, New York 1955). Die Domäne der
Rhetorik ist die Domäne der Logomachie,
des Wortkampfes.
Die Rhetorik gliedert sich in zwei Bereiche:
zum einen beinhaltet sie den Gebrauch von
persuasiven Mitteln (rhetorica Utens), zum
Rhetoric has fallen not so much into disrepute
as into virtual oblivion. It is but a shadow
of its former seif. It is taught little if at all in
the schools. And in the few advanced
philological curricula which still include
it, it is its literary aspects that receive the
emphasis with the focus on poetry and drama
rather than prose.
Rhetoric has come down to us from ancient
times with an aura of antiquity about it. At first
sight it seems unfitted for handling the
message of the advertiser, which is the rhe-
toric of the modern age. Yet it can be shown
that a modern System of rhetoric might be
a useful descriptive and analytical Instrument
for dealing with the phenomena of advertising.
To explain just how it might be used in
this way is the aim of this article.
The ancient Greeks divided rhetoric as the art
of eloquence into three parts: the political,
the legal and the religious. It dealt with the
speeches given before public assemblies, in
legal pleadings and on solemn occasions
and set out to show how they should be con-
structed, how they should be formulated
stylistically, how they should be delivered and
what gestures should accompany them.
It was primarily the politicians, lawyers and
priests who were adepts in rhetoric since
it was their business to use speech to work
on their public so as to obtain a definite
decision, implant an opinion or evoke a mood:
a decision on a campaign of war, an opinion
concerning the prisoner at the bar, a mood in
a religious ceremony. To this end there
were many means. “Rhetoric is par excellence
the region of the Scramble, of insult and
injury, bickering, squabbling, malice and the
lie, cloaked malice and subsidized lie.“
(Burke K. ’A Rhetoric of Motives’ p. 19,
New York 1955). The domain of rhetoric is
the domain of logomachy, the war of words.
Rhetoric divides into two kinds: one is
concerned with the use of persuasive means
(rhetorica Utens) and the other with des-
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