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50 Gustav Friedrich Waagen.

eingeladen. Er ergriff die Gelegenheit gern, seine Anschauung durch
das Studium der dortigen Kunstwerke zu erweitern und wollte von
der dänischen Hauptstadt aus noch nach Stockholm gehen, um
daselbst das neu eingerichtete Museum kennen zu lernen. Am 4.
Juli reiste er von Berlin ah. Vorher hatte er noch an seinen Auf-
zeichnungen über die spanische Reise gearbeitet. Das Letzte, was er
geschrieben, war endlich eine Anzeige vom zweiten Bande meines Buches
»Holbein und seine Zeit«, die in der Spener'schen Zeitung erschien.
Kaum war aber Waagen in Kopenhagen angekommen, als er
während des Studiums in den Galerien sich eine heftige Erkältung
zuzog. Er erkrankte an einer Brustentzündung. Die liebevollste
Pflege wurde ihm in* dem befreundeten Hause zu Theil. Die beiden
besten Aerzte von Kopenhagen behandelten ihn, sie hofften auf
Besserung, wenn nur die Kräfte ausreichten. Aber diese waren
durch alles Vorangegangene zu sehr erschüttert. Am 15. Juli, früh
9 Uhr, entschlief er sanft. Die Berliner Morgenzeitungen vom 17.
brachten telegraphisch die unerwartete, schmerzliche Kunde. Seine
Ruhestätte hat er in Kopenhagen gefunden, da er selbst früher,
mit Rücksicht auf seine Reisen, den Wunsch ausgesprochen, an dem
Orte, an dem er sterben würde, begraben zu sein.

»Es wird schwer« — so schrieb mir damals Wilhelm Lübke,
»sich einen Mann von solcher Wärme des Herzens und solcher
Frische des Geistes als nicht mehr unter den Lebenden zu denken.
Er war doch noch ein ehrwürdiger Pfeiler aus einer besseren Zeit,
der manches Gute aufrecht hielt und stützte.« Aus der Epoche, welcher
die Kunstentwickelung in der Hauptstadt Preussens das Beste dankt,
aus derZeit Wilhelm's von Humboldt, Schinkel's, Rauch's
war er der Letzte, und er war und bleibt Einer, der mit diesen
gemeinsam genannt und hochgehalten werden muss.

Seine äussere Erscheinung hatte auf den ersten Blick nichts
Anziehendes. Eine kurze, gedrungene Figur, eine rauhe Stimme und
eine oft polternde Sprache, ein keineswegs schönes, in der Unter-
partie derb gebildetes Gesicht. Aber diese Züge waren voller
Charakter, der Ausdruck machte sie liebenswerth, das Silberhaar
ehrwürdig. Das schöne Porträt, das sein Freund Knaus gemalt1.
oder die nach einer Photographie aus dem letzten Lebensjahre an-
gefertigte treffliche Radirung in unserem Buche lassen das erkennen.
Die Hauptzüge seines Wesens waren ächte Humanität und Aufrich-
tigkeit, und diese traten im Verkehr mit ihm so lebhaft hervor,
dass sie aufrichtige Naturen gewannen. Seine Empfindungen zu
verhehlen, war ihm nicht gegeben, gerade seine Offenheit hat ihm
viele Feinde geschaffen, freilich auch um so entschiedenere Freunde.
Jüngere Fachgenossen werden seine Bereitwilligkeit, sie zu fördern,
ihnen die Schätze eigenen Wissens aufzuschliessen, seine lebhafte
Theilnahme an ihren Versuchen und Arbeiten nicht vergessen. Wer

1 Im Besitz der Familie.
 
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