Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Wehmer, Carl; Wagner, Leonhard
Proba centum scripturarum: ein Augsburger Schriftmusterbuch aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts (Begleittext): Leonhard Wagners Proba centum scripturarum — Leipzig: Insel-Verlag, 1963

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55646#0011
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
enthält gleich neun solche Schemata des Labyrinths.5 Wenn Wagner
diesen Vorwurf wählte und zur Erläuterung ein Zitat aus der Enzy-
klopädie des Isidor von Sevilla beifügte, so bewegte er sich auch damit
in dem traditionellen Gedankengut und in den vertrauten Vorstel-
lungen seiner noch mittelalterlichen Umwelt. Die Rückseite dieses
Blattes, also die letzte Seite der Proba, wurde nicht beschrieben.
Zwischen Blatt 2 und 5 3 sind die Blätter der Handschrift eingeschlos-
sen, die den Kern der Proba ausmachen: die hundert Schriftproben.
Die bisher beschriebenen Seiten (Titel, Widmung, Kreuzestitel und
Labyrinth) sind lediglich das Beiwerk.
Jede der einhundert Schriftproben auf den Blättern 3 bis 52 bean-
sprucht eine ganze Seite. Am Fuß jeder Seite steht der Name der
Schrift. Auf der Vorderseite jedes Blattes ist dieser Hauptteil der
Handschrift am oberen Rande mit arabischen Ziffern (1—50) von
Wagner gezählt. Jeder Schriftprobe ist eine große Initiale vorgesetzt.
Neunundneunzig von diesen hundert Initialen sind einheitlich in dem
Bandwerkstil gehalten, dessen berühmtestes Beispiel die Initialen
des sogenannten >Gebetbuches des Kaisers Maximilian« von 1513 sind.
Sie sind aus mehreren parallel geführten, geschwungenen, an- und
abschwellenden Bändern gebildet, die oft unvermittelt abbrechen
oder in zarte Zierlinien auslaufen. Der Kontrast von mächtigen ver-
doppelten oder vervielfachten Druckstrichen und feinen Haarstrichen
ist stark betont. Derartige Initialen kommen im Buchdruck seit dem
fünfzehnten Jahrhundert vor.6 Im Gebetbuch sind sie mit einer von
Geschmack zeugenden Verhaltenheit behandelt; in der Proba wirken
sie nicht selten undiszipliniert und reichlich überladen. Ich möchte es
immerhin für möglich halten, daß der Kaiser für solche Initialen
im Kanzleistil7 eine gewisse Vorliebe hegte und daß Wagner sie aus
Kenntnis der höfischen Geschmacksrichtung für die dem Kaiser ge-
widmete Proba wählte. Das umgekehrte Verhältnis, nämlich, daß die
Initialen der Proba zur Wahl von Initialen ähnlichen Stils im Gebet-
buch angeregt haben könnten, scheint mir bei der etwas fragwürdigen
Qualität der Proba-Initialen wenig wahrscheinlich zu sein. Nur ein-
7 mal, auf Blatt 4 recto, in der dritten Schriftprobe (Poetica vera),
verwendet Wagner eine Initiale in einem anderen, schlichten klassi-
schen Stil ohne alles gotische Schmuckwerk.

Dieses A in der Art der römischen Capitalis kommt im Werk Leon-
hard Wagners noch einmal vor, auf einem von Bernhard Bischoff in
der Augsburger Stadtbibliothek gefundenen Einzelblatt (8°Cod.72),
das möglicherweise eine als Versuch geschriebene Seite der geplanten
Proba sein könnte (Abb. i).8 Sie ist anders aufgeteilt als in der Proba,
über dem Text steht eine Überschrift in zwei Zeilen, die Initiale ist
kleiner und in die linke obere Ecke gerückt, während die Initiale A
in der Proba den gesamten linken Rand neben dem Schriftbild füllt.
Trotzdem besteht zwischen dem Einzelblatt der Augsburger Stadt-
bibliothek und der dritten Schriftseite der Proba eine sehr nahe Ver-
wandtschaft, eine nähere als zwischen der dritten Schriftseite und

CAII-PLINII-EPISTOLA-
AD-PAVLINVAA ♦

■ Ar niLtl niitptarmuT
attmntansantT cnilos pmqnc llln J.alttun^ aium pla
ccat.ftrmm otntws kominesariirror oprtrrcautmi
tnomlitnmnftum.aittniOTtahtatrm cnjtare.rr tllos

■rntfera limul.et nunnta trnamne inJulrriac jluiln
ttm ftupmienitt. ! I.icce^>trcutn«ju.ie<|uotulu
tnEa,rfrUt^e^'nÄm nifcuni 4iflen|t«tu<|u«moi
non dtlTenhes.utqui femperclantm alicittJ. et-
\ z r i


Abb. 1. Schriftblatt Leonhard Wagners. Verkleinert
Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek (8° Cod. 72)
 
Annotationen