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In Memoriam

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Walden war alles andere als duldsam nnd konnte keine Kritik ertragen;
das muß festgestellt werden. Er war sich seiner großen Fähigkeiten ganz
und gar bewußt. >Ich irre mich nie<, pflegte er zu sagen. In der Kunst hat er
sich auch nie geirrt. Im Leben leider oft.

Dabei hatte Herwarth Walden einen besonderen Sinn für Humor. Im klei-
nen Freundeskreis konnte er von einem Witz und einer Laune sein, die ein-
fach hinreißend waren. Er steckte uns alle damit an, und seine Einfâlle und
Scherze nahmen kein Ende. Jeden, der bei diesen >Sitzungen< zugegen war,
riß er mit seiner Verve hin. Ich glaube, daß keiner, der Walden bei solchen
Gelegenheiten gesehen hat, sich seinem Charme entziehen konnte. Aber es
war ihm nur im engsten Freundeskreise môglich, so ausgelassen zu sein.
Und das Publikum — er brauchte immer sein Publikum — mußte ihm
>die Bälle zuwerfen<. Am besten gelang das Alfred Dôblin, der ja auch
einen sehr scharfen Witz besaß. Rudolf Blümner, William Wauer, Lothar
Schreyer und August Stramm, also unsere nâchsten Freunde, waren fast
immer dabei. Wir haben im >Sturm< nicht nur streng und ernst gearbeitet
und haben nicht nur schwere Zeiten gekannt. Gelacht und gescherzt wurde
ebenso viel, mid das war ein Glück für uns alle.

Walden las in unserem Kreise immer seine für den >Sturm< fertiggestellten
Arbeiten vor. Er tat das gern; und zwar nicht nur die scharfen und polemi-
schen Artikel, sondem auch seine Aufsâtze über Kunst, Kunstverstehen und
Kunstsehen. Es ist einmal gesagt worden, daß es im deutschen Sprachbe-
reich kaum einen so meisterhaften Polemiker gegeben habe wie Walden.
Er brauchte dafür natiirlich seine >Prügelknaben< — wenn man es so nennen
will. Diese ergänzten sich aber immer aufs neue durch gehâssige Kritiker
und Gegner des >Sturm<. Man brauchte kaum zu fiirchten, daß hier je ein
Mangel eintreten könnte. Ich persônlich liebte mehr die herrlichen For-
mulierungen Waldens zum Kunstverstehen. Wahrscheinlich, weil ich von
Natur aus nicht aggressiv bin. Aber ich wußte natürlich auch, daß unsere
Gegner nur durch Waldens scharfe Polemiken zu treffen waren.

In Biichern und Aufsatzen wird immer wieder die Frage gestellt, ob Her-
warth Walden das Wort >Expressionismus< erfunden habe. Das Wort Ex-
pressionismus war jedenfalls Waldens Bezeichnung für die neue Kunst-
gestaltung. Er setzte das Wort >Expressionismus< in Gegensatz zum >Im-
pressionismus<. Dem Expressionismus untergeordnet waren die beiden Be-
griffe >Kubismus< mid >Futurismus<. Als Trâger des Kubismus bezeichnete
 
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