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III. Der Werkstättenkreis um Saciro.

Unter den Stempelbildern auf der ersten Thorsberger Scheibe ist das beherrschende
Bildmotiv, die Darstellung des sitzenden Kriegers mit der Gans, zweifellos das merk-
würdigste. Von der Deutung dieser Darstellung hängt die Beurteilung der Scheibe in
wesentlichen Punkten ab: Zeitstellung und Herkunft des Denkmals können ohne sie nicht
befriedigend geklärt werden.
Engelhardt vermutete, daß der sitzende Krieger möglicherweise der Gott Mars sein
könne 1), eine Annahme, die durchaus das Richtige trifft 2). Gewißheit bringt der Vergleich
mit einem bronzenen Kästchenblech des Landesmuseums Bonn, dessen enge Verwandt-
schaft mit der Thorsberger Scheibe (Taf. 8, 1 u. 3) sogleich ins Auge fällt (Taf. 8, 2). Der
sitzende Krieger ist der Gott Mars mit der ihm heiligen Gans, eine Verbindung, die sich
auf einer Reihe provinzialrömischer Denkmäler findet, und deren Vorkommen und religions-
geschichtliche Bedeutung unten ausführlich gewürdigt werden soll. Besonders häufig
findet sich die Gruppe auf einer Reihe bronzener römischer Kästchenbleche von der Art
des Bonner Stückes, welche in Stil und Technik (Verzierung des dünnen Bleches durch
Einschläge von Metallstempeln) eng mit der Thorsberger Scheibe Zusammenhängen. Sie
gehören zu Schminkkästchen und Spiegelkapseln und sind einem provinzialrömischen
Werkstättenkreis zuzuweisen, der für die Frage nach der Herkunft der beiden Thorsberger
Scheiben von großer Wichtigkeit ist.
An erster Stelle steht das erwähnte Blech Taf. 8, 2 des Landesmuseums Bonn. Es stammt
aus dem römischen Gräberfeld vom Maarflachweg in Bonn und gelangte im Jahre 1904
zusammen mit Keramik des 1. und 2. Jahrhunderts durch Ankauf in das Landesmuseum 3).
Ein zugehöriger Salbenreibstein zeigt, daß es den Bestandteil eines Schminkkästchens
bildete. Es besteht aus einer rechteckigen Bronzeplatte mit abgerundeten Ecken an der
einen Schmalseite, auf der ein dünnes, jetzt stark zerstörtes gestempeltes Bronzeblech
aufliegt. Auf dem Blech ist der sitzende Gott Mars mit der Gans in einer Aedicula dar-
gestellt. Die Säulen der Aedicula sind im Gegensinne gedreht und besitzen geperlte Basen
und pflanzliche Kapitelle, die in sehr vereinfachter Form die korinthische Ordnung erkennen
lassen. Auf ihnen ruht ein dreieckiger, von einer Perlreihe umsäumter Giebel mit besonders
hervorgehobenem Firstbalken, in dessen Feld die bärtige Maske einer Wassergottheit4)
inmitten zweier Delphine wiedergegeben ist. Die Delphine ähneln den großen Delphinen
auf den Thorsberger Scheiben, während der sitzende Mars in der Aedicula, der hier übrigens
eine eigene Standlinie besitzt, auch in seinen Ausmaßen der entsprechenden Darstellung

x) Engelhardt a. a. 0. 28.
2) Die Erklärung als „sitzende Roma“, die A. Alföldi (Acta Archaeologica 5, 1934, 116) und unbestimmter W. A. von
Jenny (Die Kunst der Germanen im frühen Mittelalter [1940] 63) gaben, ist nicht zutreffend. Andere Deutungen sind
m. W. in der Literatur nicht versucht worden.
3) H. Lehner, Führer durch das Prov.-Mus. Bonn2 (1924) 105 mit Taf. 20, 5. — Ein Grabzusammenhang mit anderen
Teilen des „Fundes“ ist nicht naehzuweisen. Inv. Nr. 16580f.
4) Vgl. bes. zwei Reliefs von Neumagen (Espdrandieu Nr. 5174 u. 5181), ferner Reliefs aus Bonn (Esperandieu Nr. 6258)
und Metz (Esperandieu Nr. 4304). Die Maske ist ursprünglich von der Okeanosmaske abzuleiten, vgl. A. Rumpf in G.
Rodenwaldt, Die antiken Sarkophagreliefs 5, 1 (1939) 11 ff.

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