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Einleitung
von diesem bis 1784 in der Villa Medici in Rom befindlichen Sarkophag nur die Hauptseite
abgebildet.2"0 Winckelmann wußte aber davon nichts und schreibt von einem nicht mehr in Rom
befindlichen Werk, daß er nach einer zur Sammlung Albani gehörenden Zeichnung aus der
Raphaelschule habe kopieren lassen.298 299
Interpretiert man die Themen beider Darstellungen, der von einer Muse unterrichtete Eros
und die Unterrichtung von Kindern durch Musen und Erzieher, so scheinen sie auch das Pro-
grammatische in Winckelmanns Arbeit andeuten zu wollen. Zum Unterricht der Jugend fühlte
sich der Autor oft berufen, wie die Beispiele Johann Heinrich Füsslis oder Friedrich Reinhold von
Bergs ebenso zeigen wie der Wunsch, Prinzenerzieher am sächsischen Hof zu werden. Hauptsäch-
lich aber haben die Abbildungen argumentative Funktion. Winckelmann verweist auf sie im
Zusammenhang mit seiner Polemik gegen Martorellis "De regia theca calamaria". Die Gemme
zeigt Eros/Amor "mit einer gerodeten Schrifi, welche kein Contract oder Abschied seyn kann",
während die Muse ein viereckiges Buch auf den Knien hält. Auch auf dem Sarkophagrelief findet
sich die gerollte Schrift neben dem viereckigen Buch. Damit illustrierte Winckelmann seine
Gegenposition zu Martorelli. Er führt seinem Leser den von Martorelli bestrittenen allgemeinen
Gebrauch gerollter Schriften neben viereckigen Büchern in der Antike buchstäblich vor Augen
(wobei er die eigentlich entscheidende Frage nach der Datierung des Denkmals allerdings nicht
berührt).300 301 * Winckelmann wählte die Illustrationen wohlüberlegt zu einem Thema, das mit rund
dreißig Seiten nicht nur einen wesentlichen Teil der Abhandlung in Anspruch nimmt, sondern
vielleicht am besten geeignet war, die eigene Gelehrsamkeit wirkungsvoll herauszustellen. Zumal
er betont, daß von den herkulanischen Schriften "niemand vor mir Nachricht [...] gegeben hat'N
Auch das nach einer Zeichnung von Mengs angefertigte Schlußkupfer läßt sich mit dem Thema
antike Schriften in Verbindung bringen. Es bildet eine in der Villa dei Papiri gefundene Bronzebü-
ste des Demosthenes (384-322 v. Chr.) ab.’02 Winckelmann zitiert den attischen Redner und
Politiker als Quelle für die Richtigkeit seiner Beobachtungen zur Beschaffenheit antiker Finte, die
er anhand der herkulanischen Papyri gemacht hatte.303 Das Kupfer ist bezeichnet PROTOME
AER[EA] MUSEI HERCVL[ANENSIS], d.h. Bronzebüste aus dem Herkulanischen Museum,
und verstößt ganz offenbar gegen das von Neapel verhängte Publikationsverbot. "Mengs zeichnete
mir daßelbe verstohlen, da er die Bequemlichkeit [günstige Gelegenheit] dazu fand", berichtete er
298 Der Sarkophag heute in Uffizien Florenz, Inv. 82. Maße der rechten Schmalseite: B. 1,10 m, H.
0,94 m. Vgl. Guido A. Mansuelli, Galleria degli Uffizi. Le Sculture, Roma 1958 I Nr. 253 S. 235-236; Guntram
Koch, Hellmut Sichtermann, Römische Sarkophage, HAW München 1982 S. 106-107; Stefano de Angeli, in:
Melanges de l'Ecole francaise de Rome, Antiquite 103 1991 S. 116-117 Abb. 3. - Montfaucons Publikation:
L'Antiquite expliquee et representee en figures, Paris 1719 11,2 Taf. 133,1 (Längsseite). Zu Montfaucon s. Komm.
Sendschreiben 121,26.
299 Sendschreiben S. 116,3-7. Zur Darstellung vgl. Diepolder in: Br. II S. 464 (zu Nr. 502), der das Relief
nicht identifizieren konnte. Zum Verbleib der Zeichnung aus der Sammlung Albani s. Komm. Sendschreiben 116,6.
300 Vgl. Sendschreiben S. 114,37-119,6.
301 Sendschreiben S. 110,11.
3112 Vgl. Komm. Sendschreiben 91,20.
303 Vgl. SendschreibenS. 123,23.
Einleitung
von diesem bis 1784 in der Villa Medici in Rom befindlichen Sarkophag nur die Hauptseite
abgebildet.2"0 Winckelmann wußte aber davon nichts und schreibt von einem nicht mehr in Rom
befindlichen Werk, daß er nach einer zur Sammlung Albani gehörenden Zeichnung aus der
Raphaelschule habe kopieren lassen.298 299
Interpretiert man die Themen beider Darstellungen, der von einer Muse unterrichtete Eros
und die Unterrichtung von Kindern durch Musen und Erzieher, so scheinen sie auch das Pro-
grammatische in Winckelmanns Arbeit andeuten zu wollen. Zum Unterricht der Jugend fühlte
sich der Autor oft berufen, wie die Beispiele Johann Heinrich Füsslis oder Friedrich Reinhold von
Bergs ebenso zeigen wie der Wunsch, Prinzenerzieher am sächsischen Hof zu werden. Hauptsäch-
lich aber haben die Abbildungen argumentative Funktion. Winckelmann verweist auf sie im
Zusammenhang mit seiner Polemik gegen Martorellis "De regia theca calamaria". Die Gemme
zeigt Eros/Amor "mit einer gerodeten Schrifi, welche kein Contract oder Abschied seyn kann",
während die Muse ein viereckiges Buch auf den Knien hält. Auch auf dem Sarkophagrelief findet
sich die gerollte Schrift neben dem viereckigen Buch. Damit illustrierte Winckelmann seine
Gegenposition zu Martorelli. Er führt seinem Leser den von Martorelli bestrittenen allgemeinen
Gebrauch gerollter Schriften neben viereckigen Büchern in der Antike buchstäblich vor Augen
(wobei er die eigentlich entscheidende Frage nach der Datierung des Denkmals allerdings nicht
berührt).300 301 * Winckelmann wählte die Illustrationen wohlüberlegt zu einem Thema, das mit rund
dreißig Seiten nicht nur einen wesentlichen Teil der Abhandlung in Anspruch nimmt, sondern
vielleicht am besten geeignet war, die eigene Gelehrsamkeit wirkungsvoll herauszustellen. Zumal
er betont, daß von den herkulanischen Schriften "niemand vor mir Nachricht [...] gegeben hat'N
Auch das nach einer Zeichnung von Mengs angefertigte Schlußkupfer läßt sich mit dem Thema
antike Schriften in Verbindung bringen. Es bildet eine in der Villa dei Papiri gefundene Bronzebü-
ste des Demosthenes (384-322 v. Chr.) ab.’02 Winckelmann zitiert den attischen Redner und
Politiker als Quelle für die Richtigkeit seiner Beobachtungen zur Beschaffenheit antiker Finte, die
er anhand der herkulanischen Papyri gemacht hatte.303 Das Kupfer ist bezeichnet PROTOME
AER[EA] MUSEI HERCVL[ANENSIS], d.h. Bronzebüste aus dem Herkulanischen Museum,
und verstößt ganz offenbar gegen das von Neapel verhängte Publikationsverbot. "Mengs zeichnete
mir daßelbe verstohlen, da er die Bequemlichkeit [günstige Gelegenheit] dazu fand", berichtete er
298 Der Sarkophag heute in Uffizien Florenz, Inv. 82. Maße der rechten Schmalseite: B. 1,10 m, H.
0,94 m. Vgl. Guido A. Mansuelli, Galleria degli Uffizi. Le Sculture, Roma 1958 I Nr. 253 S. 235-236; Guntram
Koch, Hellmut Sichtermann, Römische Sarkophage, HAW München 1982 S. 106-107; Stefano de Angeli, in:
Melanges de l'Ecole francaise de Rome, Antiquite 103 1991 S. 116-117 Abb. 3. - Montfaucons Publikation:
L'Antiquite expliquee et representee en figures, Paris 1719 11,2 Taf. 133,1 (Längsseite). Zu Montfaucon s. Komm.
Sendschreiben 121,26.
299 Sendschreiben S. 116,3-7. Zur Darstellung vgl. Diepolder in: Br. II S. 464 (zu Nr. 502), der das Relief
nicht identifizieren konnte. Zum Verbleib der Zeichnung aus der Sammlung Albani s. Komm. Sendschreiben 116,6.
300 Vgl. Sendschreiben S. 114,37-119,6.
301 Sendschreiben S. 110,11.
3112 Vgl. Komm. Sendschreiben 91,20.
303 Vgl. SendschreibenS. 123,23.