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V. Philosophie der Aufklärung.

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rend der Renaissance durch die frischen Bewegungen in Kunst, Religion, Staat
und Naturforschung herausgearbeitet worden waren. Hatten diese im 17. Jahr-
hundert zunächst ihre metaphysische Formulierung gefunden, so kam nun wieder
die Frage in den Vordergrund, wie in dem Rahmen der neuen Weltanschau-
ung der Mensch sein eigenes Wesen und seine eigene Stellung aufzufassen habe:
und vor dem Werte, den man auf diese Frage legte, trat das Interesse an der
Verschiedenheit der metaphysischen Begriffe, worin jene Weltanschauung nieder-
gelegt worden war, immer entschiedener zurück. Man begnügt sich mit den all-
gemeinen Umrissen der gewonnenen Weltansicht, um desto eingehender sich
mit den Fragen des Menschenlebens zu beschäftigen, und alle die Lehren der
Aufklärung, welche so heftig gegen die Spekulation polemisieren, arbeiten im
Grunde genommen von Anfang an mit einer Metaphysik des „gesunden
Menschenverstandes", der zuletzt seine Stimme so laut erhob und der doch
schließlich nur dasjenige als selbstverständliche Wahrheit voraussetzte, was ihm
aus dem Ertrag der Arbeit der vorhergehenden Jahrhunderte zugefallen war.

Die Anfänge der Aufklärungsphilosophie sind in England zu suchen, wo
bei den geordneten Zuständen, die auf den Abschluß der Revolutionsperiode
folgten, ein mächtiger Aufschwung des literarischen Lebens auch die Philosophie
für die Interessen der allgemeinen Bildung in Anspruch nahm. Von England
verpflanzte sich diese Literatur nach Frankreich: hier aber wirkte der Gegen-
satz der Ideale, welche sie mit sich brachte, zu der sozialen und politischen
Wirklichkeit derartig, daß nicht nur der Vortrag der Gedanken von vornherein
erregter, heftiger war, sondern auch die Gedanken selbst sich schärfer zuspitzten
und ihre negative Energie gegen das in Staat und Kirche Bestehende kräftiger
hervorkehrten. Von hier aus zunächst, dann aber auch von direkter Einwirkung
aus England1) übernahm Deutschland die aufklärerischen Ideen, für die es
in mehr theoretischer Weise schon vorbereitet war: und hier fanden diese ihre
letzte Vertiefung und eine Reinigung und Veredlung durch ihr Aufgehen in die
deutsche Dichtung, mit welcher sich die Renaissance des klassischen
Humanismus vollendete.

Der Führer der englischen Aufklärung ist John Locke dadurch ge-
worden, daß er eine populäre Form empirisch-psychologischer Darstellung für
die allgemeinen Umrisse der cartesianischen Weltauffassung fand. Während
dann deren metaphysische Tendenz in Berkeley noch einen idealistischen Nach-
sprößling hervorbrachte, breitete sich die anthropologisch-genetische Betrach-
tungsweise schnell und siegreich über alle Probleme der Philosophie aus. Da-
bei blieb der Gegensatz zwischen der sensualistischen Assoziations-
psychologie und den nativistischen Theorien verschiedenen Ursprungs
für die Entwicklung maßgebend. Er beherrschte die lebhafte Bewegung der
Moralphilosophie, in der Shaftesbury als die eindrucksvollste Persönlich-
keit hervortritt, und die damit zusammenhängende Ausbildung des Deismus
und der Naturreligion: und er fand seine schärfste Ausprägung auf dem
erkenntnistheoretischen Gebiete, wo der konsequenteste und tiefste der eng-
lischen Denker, David H um e, den Empirismus zum Positivismus entwickelte
und dadurch den Widerspruch der schottischen Schule hervorrief.

1) Vgl. G. Zakt, Der Einfluß der englischen Philosophen auf die deutsche Philos.
des 18. Jahrh. (Berlin 1881).

Windel band, Lehrbuch. 9. u. 10. Aufl. 24
 
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