Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Sobald zum blauen Himmelszelt
Empor die ersten Lerchen schwirren,

Geht scharf und deutlich durch die Welt
Ein unheilvolles Waffenklirren,

Und Trommelwirbel übertäubP
Des Pirols und des Finken Schlagen,

Wenn weiß es von den Zweigen stäubt
Nach kurzen, warmen Blütetagen.

Der Vogel brütet still im Nest
Im dichten Busch, in braunen Schollen —

Da bebt der Grund in Ost und West
Von der Kanonenräder Rollen,

Da thürmt sich auf in fahlem Schein,
Verderbend kündend jedem Volke
Bis in der Wittwe Kämnierlein,

Des Krieges finstre Wetterwolke.

Die Völker könnten reich und stark
In Eintracht beieinander wohnen;

Doch diese Angst, sie saugt am Mark
Und an dem Herzblut der Nationen.

Wie lange wird der Menschheit Strom
In viele Bäche man zersplittern?

Wie lange noch wird dies Phantom
Das Frühlingshoffen uns verbittern?

Von Samoa.

„Kleine Ursachen, große Wirkungen",
sagte der deutsche Konsul, da bezeichnete er als Ur-
heber des Samoa-Konfliktes den Amerikaner Klein.

Der Stöcker.

Der große Stöcker, wie oft sprach er nicht
So laut von dem strengen Gottesgericht,

Das über den sündigen Menschen ergeht,

Der in der Vorsehung Schuldbuch steht!

Schau hin jetzt, wer ihm das nicht geglaubt,
Jetzt schwebt es ihm über dem eigenen Haupt;
Der Andersdenkenden oft schon geflucht,

Wird disziplinarisch untersucht.

Die Junker, die ihn gehätschelt, verzogen,
Die nennen ihn heut einen Demagogen,

Sie sind vom heißesten Wunsch entflammt,

Daß er komme von seinem Hofpredigeramt.

So rasch in dieser schnelllebigen Zeit
Vergeht die stolzeste Herrlichkeit:

Jetzt nimmt er nicht mehr so voll den Mund
Und seine Macht ist bedenklich im Schwund.

Marokkanisches.

Die Mitglieder der Marokkanischen Gesandtschaft,
die in Berlin bekanntlich in außerordentlich liebens-
würdiger und festlicher Weise empfangen wurden,
litten an heftiger Erkältung, als sie abreisten.
Man sieht daraus, daß man eine marokkanische Ge-
sandtschaft gar nicht warm genug empfangen kann.

Erwachen.

Noch einmal ließ der Winter weh'n
In finstrem Trotze seine Fahnen;

Er hieß die Bäche stille steh'n
Und wehte Straßen zu und Bahnen.

Cr füllte ganze Thäler aus
In einer Nacht mit Schneeeslasten,

Begrub im Wald das Försterhaus
Und knickte schlanke Schiffesmasten.

In voller, finstrer Größe stand
Er aufgerichtet auf dem Posten
Und winkte mit der weißen Hand
Das Schneegewölk herauf von Osten.

Er lachte in der Stürme Schlacht,

In des Gestöbers graue Wirren,

Und ließ die blanke Harnischpracht,

Die helle Eisesrüstung klirren.

Es schlug an's Schwert die Eisesfaust,

Als werde Herr der Macht er bleiben —
Doch wir, gehudelt und gezaust,

Wir schauten spöttisch in das Treiben,

Denn ob des Himmels Blau verschwand -
Es ließ sich Niemand bange machen;

Wir wußten, vor der Thüre stand
Des Lenzes lächelndes Erwachen.

Mag nochmals drum in Wald und Flur
Gepflanzt des Winters Banner stehen —

Wir grüßen doppelt freudig nur
Des lauen Thauwinds rastlos Wehen,

Die Knospe, die verstohlen springt
An Busch und Baum auf Weg' und Stegen,
Die Drossel, die mit Locken singt
Im Abendlicht nach sanftem Regen.

Es schwillt das wintermüde Herz
Dem Lenz, der es erlöst, entgegen,

Als werde Balsam auf den Schmerz
Der tiefsten Wunde still er legen —

Und schreckt in Träumen, die dem Schooß
Des finstren Tartarus entstammen,

Und schreckt vor Fragen riesengroß
Im selben Augenblick zusammen.

Fortschritt der Wissenschaft.

A. : Es ist doch großartig, was die Wissenschaft
für Erfolge erringt. Jetzt will man sogar die
Wasserkraft des Rheins auf elektrotechnischem
Wege zu gewerblichen Zwecken nutzbar machen.

B. : Das ist noch gar nichts; in Leipzig wird
sogar ganz ohne Elektrotechnik die Pump kraft
der Studenten zu gewerblichen Zwecken ver-
werthet und beschäftigt viele Schneider und Schuster
in ausgiebigster Weise.

Kartellbruders Schmerz

über die Ungarn.

Ihr Ungarn seid eine wilde Nation,

Euch hat die Kultur nicht verwandelt.

Wie könnt' Ihr nur wagen die Opposition,
Wenn es um die Wehrkraft sich handelt!

Und wenn ich als Bundesgenossen Euch schätz',
Muß doch Euer Thun mich verletzen!

Wie konntet Ihr gegen ein Wehrgesetz
So stark zur Wehr Euch setzen?

Berlin, Anfang März.

Lieber Jacob!

„Det is doch een Wort, wat sich Heeren läßt," sagte der doobe Bauer,
wie er eene Backfeife geschmiert kriegte, un det sagten se in Berlin ooch, wie
der neie Minister des Innern neilich in't preiß'sche Abjeordnetenhaus bei den
Extrablattschwindel meente, man soll nich bei jeden Qnarck jleich nach de
Pollezei schreien.

Et hätte ja nich ville jefehlt un de Freisinnijen, Eijeeu Richter mitten
mang, hätten den Minister de Ferde ausjespannt — ick muß et allerdings
unjelogen sein lassen, ob der Minister mit sein eijenet Fuhrwerk oder Droschke
zweeter Jiete oder jar bloS mit de lumpije Ferdebahn nach't Abjeordneten-
haus kommt — aber det schabt' nischt, de Freisinnijen waren beinah ramm-
duselig vor Freide: nu sollte Allens anders werden, keen Schutzmann hätte
eenen jeweehnlichen Birger mehr wat zu sagen, Jeder kennte sich versammeln,
so ville wie er wollte, un de Extrablattverkäufer sollte mal blos noch Eener
uff de Straße an de Rippen tippen — der hätte et mit Herrfurthen aber
uff ewije Zeiten verdorben. Na, ick jenne also Jeden seinen Happen Brot,
am liebsten jeschmiert un mit'n bisken wat druff, un ick bin ooch nich im
Jeringsten jarnich uff de Extrablattverkäufer süchtig, denn mit die arme Deibels
is et natierlich wie mit alles Andere, die eijentlicher Schwindler nnd Be-
driejer die loofen nich uff de Straße rum un drillen sich heiser, um 'n Paar
Sechser zu verdienen, - die sitzen ruhig in ihre Komptoors un lassen de
Extrablätter machen, un wenn denn Mumpitz un fauler Zauber drin steht,
denn kriejen sie de Keile von't Publikum nich, aber die arinen Kerrels uff
de Straße, die missen denn natierlich herhalten.

Aber Herrfurth hat Recht, man soll nich jleich nach de Pollezei schreien,
wenn Eenen ooch blos det Jeringste in de Quere kommt. De Pollezei hat
mehr zu duhn, wie hinter jeden Extrablattverkäufer herzurennen. Da wollte
Singer neilich mal ieber de Wohnungsfrage sprechen, na, det war ja nu
>vat anders, da mußte selbstverständlich injeschritten werden — jleich de Ver-
sammlung verboten, det is noch det eenzigste Mittel, um de Arbeeter von
schlechte Jedanken abzubringen. Sechste, Jacob, davor is de Pollezei, davor
muß se sorjen, denn det is ihre Pflicht, und die verseimt se nicht!

Dajejen rüstet sich jetzt Alles, wat blos krauchen kann, zu den Früh-
jahrslohnkampf. 'n Bisken wird ja jefällig werden. Vorläufig haben de
Jnnungsbrieder woll noch mächtije Rosinen in 'n Sack, namentlich de Herren
von't Baujewerbe, die wollen de Jesellen nu mal orndtlich zeigen, wat se
kennen. Na, det schad't nischt, wir werden et ja erleben. Sechste Jacob,
wenn der März in't Land kommt, denn jeht den richtijen Berliner det Herz
in'n Leibe uff. Der März is der beste von alle Monate, in'n März jehen
wir nach den Friedrichshain, det heeßt, wenn die Pollezei et nich verbietet.

Lass' doch die Jnnungsbrieder den Rand uffreißen, als wollten se 'ne Chaussee-
walze runterschlucken — se können de Arbeeter ja doch nich!

Alle Jewerkschaften sind sich darieber einig, det de Sache so nich weiter
jehen kann. Jeder Mensch strebt nach Lohnerhöhung, det haben wir doch
jesehen; det 'ne riesije Steigerung der Preise stattgefunden hat, det weeß jetzt
jedet Kind — nn warum sollen denn nu jrade de Arbeeter den Schmacht-
riemen immer enger schnallen, da doch de Unternehmer sich jedet Jahr 'ne
neiet Kreiz in de Hosen machen lassen missen, weil se so'n dicken Bauch
kriejen. Ick kann wenigstens nich insehen, warum nich Jeder sehen soll, wo
er bleibt; wenn die Arbeeter immer ruhig sind un sich mit Allens bejniejen
— na, denn kriegen se schließlich jarnischt mehr. Det währe ja freilich det
Ideal von't Unternehmerthum, am liebsten futterten se ja jetzt schon de
Arbeeter mit Luftklöße uud Windbouletten, uff de Dauer laßt sich det aber
ooch der Dämlichste nich jefalleu, denn wird er eben tückisch. Un so is et
denn jetzt ooch in Berlin.

Haste von den Klimbim mit Rudolf Hertzogen sein Jubiläum jeheert?
Na, die Sache war jünstig, det kann ick Dir sagen, un de Antisemiten un
Konservativen, ieberhaupt det, wat man hier mit den Namen „anständije
Jesellschaft" bezeichnet, die wissen ja nu jarnich mehr, wie hoch se de Neese
dragen sollen. Selbstredend jing et natierlich nich ohne die iebliche Jubiläums-
Musike ab. Na, Rudolf Hertzog hat ja ooch so ville in Judenhetze jemacht, det
er 'ne Anerkennung redlich verdient hat, mindestens eben so redlich wie Forcken-
beck, unser jlorreicher Oberbirgermeister, der immer de Ferdebahn verpaßt,
wenn et sich um 'ne Abstimmung ieber det Sozialistenjesetz handelt, seinen
Verdienst hat. Neilich in't preißsche Herrenhaus, wo et sich um eene andere
Abstimmung handelte, da war Forckenbeck aber pünktlich zur Stelle, da war
er der Mann an de Spritze, un da wird er denn woll ooch 'ne Mark fuffzig
vor 'ne Droschke Erster riskirt haben. Du wirst woll bejreifen, Jacob, vor
de Liebe is Den ooch nischt zu dheier. Im klebrigen benimmt sich de Ber-
liner Stadtvertretung denn in de letzte Zeit ooch so, det se de Bezeichnung
„deitschfreisinnig" voll un janz verdient. De freirelijiöse Jemeinde haben se
nu jlicklich de Meeglichkeit jenommen, in städtische Schulräume Relijions-
unterricht an de Kinder ertheilen zu lassen. Na, der Rummel is zu jut, als
det man darieber noch ville Worte verlieren sollte. Wenn de Rejierung feist,
denn danzen die liberale Mannesseelen natierlich wie se det haben will, ob
et nach Recht un Jesetz jeht, det is die Brieder janz Pomade.

Doch darum keene Feindschaft nich, ick mechte blos mal eenen Schlau-
kopp finden, der mir sagen kennte, wo bei den Berliner Majistrat öffentlich
det Bauchrutschen anfangt un de Knechtseligkeit uffhört, womit ick verbleibe
erjebenst un mit ville Jrieße Dein treier

I o t t h i l f N a u ck e,

An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.
 
Annotationen