Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Wurz, Erwin
Der Ursprung der kretisch-mykenischen Säulen — München, 1913

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.1006#0019
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Abb. 10.
Bau nach einem ergänzten Wandgemälde aus Knosos.

sie stellt vielmehr eine Gottheit dar
und die Löwen, die ihr zur Seite stehen,
versinnbildlichen nicht die starken
Männer von Mykenä,41) sondern sind
heilige Tiere. Adler hat dies bestrit-
ten,42) weil die Säule nicht frei endigt,
sondern von einem Kapitell bekrönt
ist, auf dem ein Gebälk angedeutet
ist. Es widersprach aber nicht der
religiösen Anschauung dieser Zeit,
wenn auf göttliche Säulen Lasten ge-
legt wurden,43) ich erinnere z. B. an
ägyptische Parallelen, wie die Hathorsäule und die Dedsäule. Nach unten ver-
jüngt sjnd auch die Säulenschäfte auf einem Goldblech aus Mykenä (Abb. 46)
und auf Wandmalereien aus Knosos44) (Abb. 10), wo unzweifelhaft Architek-
turen dargestellt sind.45) Es steht daher unverrückbar fest, daß für die am
meisten verwendete Art der kretisch-mykenischen Säulen die Verjüngung des
Schafts nach unten charakteristisch ist.

Man hat diese Verjüngung auf verschiedene Weise zu erklären versucht,
sie hängt aber ebenso eng wie die Zickzacke mit dem Palmstamm zusammen.
Ehe ich das begründe, führe ich in folgendem die verbreitetsten Theorien über
diese Frage an.

Fr. v. Reber,46) Joseph,47) Perrot48) und-andere nehmen an, daß diese Ver-
jüngung dadurch entstanden sei, daß man den Baumstamm verkehrt auf-
gestellt, also mit dem dünnen Ende nach unten gesetzt habe,49) um ihn besser

4l) Perrot et Chipiez a. a. O. S. 800. — 42) Arch. Zeitg. 1865 S. 6.

43) Vgl. Evans, Mycenaean Tree and Pülar Cult, Journ. of Hell. Stud. 21, 1901 S. 140 ff.

44) Vgl. Noack, Die Bauk. des Altertums 1910 Taf. 12 a u. b; Durra, Jahresh. des österr.
archäol. Inst. X 1907 S. 66 Abb. 21.

45) Mit Unrecht konstruiert Durm (a. a. O. S. 64) einen Gegensatz zwischen den mykenischen
Stützen der Monumentalkunst und der Kleinkunst, wonach die Verjüngung der Stützen der
Kleinkunst nach unten nichts für eine solche Verjüngung der Monumentalstützen beweisen
könne, die Stützen im Kunstgewerbe hätten sich seit uralter Zeit beinahe durchweg auf kleinster
Basis entwickelt, die im Hochbau auf breiter Grundlage. Die Stütze auf dem Relief des Kuppel-
grabs bei Menidi, das Elfenbeinsäulchen aus Spata u. a. m. sind aber nichts andres als die
Übertragungen der Monumentalsäulen in einen kleinen Maßstab.

46) Abh. der bay. Akad. der Wiss. II 1, 1888 S. 100.

") Die Paläste des homerischen Epos2 1895 S. 58. — 48) a. a. O. Bd. VI S. 521.

49) Der junge englische Architekt des Herrn Dr. Evans erwähnte in einem Gespräch mit
Herrn Geheimrat Dr. Durm, man habe ihm gesagt, daß Holzstützen mit dem dicken Wurzelende
nach oben gestellt werden müßten, weil der Saft so besser herausliefe, wodurch das Holz dauer-
hafter würde (vgl. Durm, Die Baukunst der Griechen3 1910 S. 60 Fußnote 1). Diesen Zwang
verlangt das Holz aber keineswegs.

19
 
Annotationen