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Wurz, Erwin
Der Ursprung der kretisch-mykenischen Säulen — München, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.1006#0009
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DIE HALBSÄULEN VOM SOG. SCHATZHAUS DES ATEEUS

Säulen haben bei den kretischen Palästen,1) deren Eäume sich um einen gro-
ßen Hof gruppieren, eine bedeutende Bolle gespielt: als Stützen des Gebälks
im Innern von Sälen, in offenen Hallen, in Torgebäuden und an Treppen. In
den mit mächtigen Mauern umschlossenen, an die uralte alttrojanische Bau-
anlage anknüpfenden Palästen des Festlands kommt die Säule in den Höfen,
bei den Torbauten, zwischen den Wandvorsprüngen der Vorhallen und im
Megaron um den Herd herum angeordnet vor. Hier stützten sie das Dach an
der Stelle, wo vermutlich ein Aufbau mit Öffnungen zum Einlassen des Lichts
und zum Abführen des Bauchs war. Nach der Odyssee2) saß Arete, die Königin
der Phäaken, „am glänzenden Feuer des Herds, drehend die zierliche Spindel
mit purpurfarbener Wolle, an die Säule gelehnt". Durch ihre Formen zeigen
die mykenischen Säulen deutlich, daß sie, wie andere Einzelformen der my-
kenischen Kunst, von Kreta übernommen worden sind.3)

Die kretisch-mykenische Säule bestand, soweit sie einen konstruktiven Zweck
als Freistütze erfüllte, in der Begel aus Holz. Bis jetzt ist noch keine ausge-
graben worden, und es ist fraglich, ob überhaupt eine zutage treten wird. Das
Holz erliegt den Zerstörungen, die über die Bauten gehen, viel leichter als der
Stein. Die Angabe von Evans,4) daß in einem Zimmer von Knosos zwei viereckige

*) Noack (Ovalhaus und Palast in Kreta 1908 S. 51 ff.) leitet die kretischen Palastbauten,
die schon in der ersten mittelminoischen Periode (um 2000—1800 v. Chr.) begonnen wurden
und im Grundplan von den kontinentalen (mykenischen) abweichen, von den kretischen Oval-
bauten ab. Er führt als Beweis die Ruinen eines vor kurzem von Xanthudides in Chamaizi-
Siteia gefundenen Hauses an, das einen unbedeckten länglichen Hof hatte, um den sich eine
ganze Anzahl verschieden gestalteter, bedeckter Eäume gruppierten, deren Zwischenwände
meist radial zur ovalen Umfassungsmauer liefen.

2) VI, 305—307.

3) Die früher von Dörpfeld und Noack (Studien zur griech. Arch. I. Jahrb. des deutsch,
archäol. Inst. XI 1896 S. 218 f. u. Troja u. Ilion I S. 84) vertretene Ansicht, daß sich die
mykenischen Säulen aus den „Strebepfeilern" der alttrojanischen Höfe entwickelt hätten,
hat sich als irrig erwiesen. Einen ideellen Zusammenhang zwischen den alttrojanischen Höfen
und den Hallen des tirynther Hofs muß man aber deshalb nicht völlig aufgeben. Vgl. Noack,
Ovalhaus und Palast S. 36.

*) Annual of the British School VII 1900—1901 S. 114; Journal of Hellenic Studies XXI
1901 S. 195.

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