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Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst / Korrespondenzblatt — 10.1891

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Nr. 2 & 3 (Febr. & März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.37291#0034
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60

Miscellanea.
17. Zur Geschichte der Legionen XIII — XX.
Da ich selbst bei der Bearbeitung von
Marquardts Darstellung des römischen Heer-
wesens der Ansicht Mommsens über den
Zeitpunkt, in welchem die XIII. — XX. Le-
gion errichtet worden sind,’ gefolgt bin,
so liegt es mir nahe den neuen Versuch,
„Mommsens Lehre“ zu erschüttern, in
Kürze zurückzuweisen. Der Kern der
Frage, welche Patsch J) wieder einmal auf-
geworfen, ist einfach der: wie hat man
sich die Neubildung der Legionen bei Aus-
bruch eines schweren Krieges zu denken ?
Wurden sie ganz aus Rekruten gebildet,
oder gab man ihnen einen starken Stamm
gedienter Leute. Dass das letztere allein
möglich war, wollte man nicht bei dem
ersten Zusammenstoss mit den waffenge-
wohnten Pannoniern vollständig geschlagen
werden, liegt in der Sache selbst und kann
niemand verkennen, dem die Technik des
Heerwesens nicht völlig fremd ist. Genau
dieses Verfahren hat Claudius eingeschla-
gen, als er vor der britannischen Expe-
dition zur Bildung zweier neuer Legionen
schritt. Denn die von Grotefend aufge-
stellte Ansicht, dass die Bildung der neuen
Legionen durch Spaltung der pannonischen
XV. und der ägyptischen XXII. erfolgte,
ist meines Wissens nie mit stichhaltigen
Gründen bestritten worden und bietet,
wie mir scheinen will, die einzige be-
friedigende Erklärung der Bezifferung
dieser Legionen und besonders des Bei-
namens Primigenia, welchen zwei der
neugebildeten Legionen erhalten. Dass
diese als der eigentlichen Stamm betrach-
tet wurden und wahrscheinlich den alten
Adler behielten, während die abgezweigten
die Beinamen Apollinaris und Deiotariana
führen, hat bereits Grotefend vermutet.
Nur darin weiche ich von ihm ab, dass
ich nicht, wie er es that, die Beinamen
Apollinaris und Deiotariana auf Augustus
zurückführe, sondern vielmehr glaube, dass
sie der pannonischen und ägyptischen Le-
gion erst von Claudius verliehen worden
sind, schon deshalb, weil sie als die abge-
zweigten erst von ihm geschaffen wurden.

Auch Dio war der Ansicht, dass die XXII
Primigenia in Obergermanien von Augustus
errichtet worden (55, 23, 6 nach Mommsens
Verbesserung) und, wenn es an sich be-
denklich ist, von Dios Angaben über die
Geschichte der Legionen ohne zwingende
Gründe abzuweichen, so bestätigen die
Monumente auch hier sein Zeugnis. Denn
es ist kein Zufall, wie hier nur angedeutet
werden kann, dass das Fahnentier der
XXII. der Capricorn ist, d. h. das Nativi-
tätsgestirn des Augustus, des Gründers der
Legion. Der Trugschluss, dass die XXII.
Deiotariana die ältere der beiden Legionen
sei, ist wohl nur aus dem Beinamen ent-
sprungen. Gewiss ist dieser Name eine
Erinnerung daran, dass Augustus aus den
galatischen Milizen, welche Deiotarus nach
römischer Art organisiert hatte, eine rö-
mische Legion bildete, sie aber in bezeich-
nender Weise nach Aegypten verlegte, das
in mehr als einer Hinsicht anders geord-
net war, als die übrigen Provinzen des
Reiches. Aber damit ist nicht gegeben,
dass ihr Augustus selbst den Namen ver-
liehen. Wenn die Legion auf den Denk-
mälern, welche vor Claudius geschrieben
sind, mit einer Ausnahme keinen Beinamen
führt, so ist dies, obwohl sich die Sitte,
den Beinamen der Legion auf den Steinen
zu setzen, erst allmählich feststellte, ge-
wiss bemerkenswert. Entscheidend scheint
mir, dass in jenem einzigen Falle (C. I. L.
X, 4862), wo der Beinamen genannt wird,
dieser nicht Deiotariana, sondern, wie bei
der anderen ägyptischen Legion, der III.,
vielmehr Cyrenaica lautet. Mag sich der
Schreiber geirrt haben oder nicht, auch
sein Irrtum wird um vieles verständlicher,
wenn die legio XXII vor Claudius über-
haupt keinen Beinamen führte. Vor allem
aber widerspricht es dem Geiste der au-
gusteischen , Missliebiges vorsichtig ver-
schleiernden Politik, den Notstand des
Heeres in den Beinamen der Legion so
zu verewigen, während der grundgelehrte
und grundverkehrte Claudius eine so schöne
Gelegenheit, eine antiquarische Erinnerung
an den Mann zu bringen, gewiss mit Freu-
den benutzte, besonders da wirklich die
Notwendigkeit vorlag, die ägyptische Le-
gion von ihrer germanischen Schwester zu

1) Patsch in der Westd. Zs. IX, S. 322 f.
 
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