8 JAKOB SEGAL.
in jedes Material anders ein, in Erz anders als in Marmor, und des-
halb ist es nicht gleichgültig, in welchem Material der Bildhauer seine
Statuen bildet. Diese Erkenntnis erlangen wir aber nicht aus der ob-
jektiven Betrachtung des Materials, sondern aus unserer inneren Er-
fahrung. Wenn wir von der subjektiven Seite her an das Kunstwerk
herantreten, dann bildet das bereits oben (vgl. V, VI) zergliederte Er-
lebnis den Leitfaden, an dem wir die Teilursache zu der Teilwirkung
finden können. In dem anderen Falle haben wir die Auswahl unter
einer Anzahl verschiedenster möglicher Ursachen, und wir sollen aus
einer von ihnen die Wirkung, die wir noch nicht analysiert haben,
erklären. Ein solcher Weg kann uns nur zufällig zum Ziele führen,
während die Analyse von der subjektiven Seite her viel sicherer und
zweckmäßiger ist. Deshalb ist die Ansicht von Fischer, der neuer-
dings die Sempersche Ästhetik aufrecht zu erhalten suchte, daß das
vergleichend-objektive Verfahren eine Ergänzung des psychologischen
bilde, methodologisch unbegründet. Denn eine konsequent durchge-
führte psychologische Ästhetik führt uns zur Erkenntnis der Abhängig-
keit des subjektiven Erlebnisses von den objektiven Tatbeständen viel
schneller, ohne weite Umwege und planloses Suchen. Fischer sagt
aber ferner, Sempers Methode habe einen heuristischen Wert, es könnten
durch sie mögliche ästhetische Prinzipien aufgefunden werden, welche
die psychologische Analyse vielleicht niemals finden würde. Dazu
müssen wir bemerken, daß die psychologische Analyse überhaupt nur
solche Prinzipien zu finden hat, die im Bewußtsein nachweisbar sind.
Der Standpunkt der Ästhetik wie der Psychologie muß ein streng
»konszientialistischer« sein. Prinzipien, welche wirken, die aber die
Psychologie niemals finden könnte, sind eben für die Psychologie
keine Prinzipien. Angenommen jedoch, wir hätten nach der objektiven
Methode gewisse Prinzipien aufgestellt, die die psychologische Ana-
lyse niemals finden würde, wo haben wir dann eine Sicherheit dafür,
daß ein solches Prinzip eben ein ästhetisches ist und nicht ein außer-
ästhetisches? Wie ist hier eine Verifizierung möglich, wenn uns die
Wirkungen der angeblichen ästhetischen Prinzipien gar nicht im Be-
wußtsein gegeben sind? Auf alle diese Fragen kann uns die objektiv-
vergleichende Methode keine Antwort in Aussicht stellen. Die psycho-
logische Ästhetik dagegen gibt uns auch auf dem objektiven Gebiete
die Sicherheit, daß die Analyse zum Ziele führen wird1).
IX. Mit der soeben genannten Aufgabe der Ästhetik hängt eine
') Neuerdings hat Meumann eine Begründung der objektiv-vergleichenden Me-
thode versucht. Wir gehen hier auf seine Abhandlung nicht ein, weil sie geschrieben
wurde, als die vorliegende Arbeit bereits druckfertig war. Aus dem gleichen Grunde
konnte Dessoirs Behandlung der Fragen nicht berücksichtigt werden.
in jedes Material anders ein, in Erz anders als in Marmor, und des-
halb ist es nicht gleichgültig, in welchem Material der Bildhauer seine
Statuen bildet. Diese Erkenntnis erlangen wir aber nicht aus der ob-
jektiven Betrachtung des Materials, sondern aus unserer inneren Er-
fahrung. Wenn wir von der subjektiven Seite her an das Kunstwerk
herantreten, dann bildet das bereits oben (vgl. V, VI) zergliederte Er-
lebnis den Leitfaden, an dem wir die Teilursache zu der Teilwirkung
finden können. In dem anderen Falle haben wir die Auswahl unter
einer Anzahl verschiedenster möglicher Ursachen, und wir sollen aus
einer von ihnen die Wirkung, die wir noch nicht analysiert haben,
erklären. Ein solcher Weg kann uns nur zufällig zum Ziele führen,
während die Analyse von der subjektiven Seite her viel sicherer und
zweckmäßiger ist. Deshalb ist die Ansicht von Fischer, der neuer-
dings die Sempersche Ästhetik aufrecht zu erhalten suchte, daß das
vergleichend-objektive Verfahren eine Ergänzung des psychologischen
bilde, methodologisch unbegründet. Denn eine konsequent durchge-
führte psychologische Ästhetik führt uns zur Erkenntnis der Abhängig-
keit des subjektiven Erlebnisses von den objektiven Tatbeständen viel
schneller, ohne weite Umwege und planloses Suchen. Fischer sagt
aber ferner, Sempers Methode habe einen heuristischen Wert, es könnten
durch sie mögliche ästhetische Prinzipien aufgefunden werden, welche
die psychologische Analyse vielleicht niemals finden würde. Dazu
müssen wir bemerken, daß die psychologische Analyse überhaupt nur
solche Prinzipien zu finden hat, die im Bewußtsein nachweisbar sind.
Der Standpunkt der Ästhetik wie der Psychologie muß ein streng
»konszientialistischer« sein. Prinzipien, welche wirken, die aber die
Psychologie niemals finden könnte, sind eben für die Psychologie
keine Prinzipien. Angenommen jedoch, wir hätten nach der objektiven
Methode gewisse Prinzipien aufgestellt, die die psychologische Ana-
lyse niemals finden würde, wo haben wir dann eine Sicherheit dafür,
daß ein solches Prinzip eben ein ästhetisches ist und nicht ein außer-
ästhetisches? Wie ist hier eine Verifizierung möglich, wenn uns die
Wirkungen der angeblichen ästhetischen Prinzipien gar nicht im Be-
wußtsein gegeben sind? Auf alle diese Fragen kann uns die objektiv-
vergleichende Methode keine Antwort in Aussicht stellen. Die psycho-
logische Ästhetik dagegen gibt uns auch auf dem objektiven Gebiete
die Sicherheit, daß die Analyse zum Ziele führen wird1).
IX. Mit der soeben genannten Aufgabe der Ästhetik hängt eine
') Neuerdings hat Meumann eine Begründung der objektiv-vergleichenden Me-
thode versucht. Wir gehen hier auf seine Abhandlung nicht ein, weil sie geschrieben
wurde, als die vorliegende Arbeit bereits druckfertig war. Aus dem gleichen Grunde
konnte Dessoirs Behandlung der Fragen nicht berücksichtigt werden.