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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 2.1907

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Waetzoldt, Wilhelm: Kleists dramatischer Stil
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https://doi.org/10.11588/diglit.3530#0051
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KLEISTS DRAMATISCHER STIL. 47

Die Gesamtbewegung des Dramas ist abhängig von dem Verhältnis
der großen Teile, wie die Gesamtbewegung eines Körpers von den
Verschiebungen und Beziehungen der wichtigsten Glieder gegen-
einander. Das Setzen der großen Einschnitte dort, wie die Betonung
der Hauptgelenke hier, ist also entscheidend für die klare zeitliche
oder räumliche Entwickelung des künstlerischen Themas. Das Zer-
legen des Dramas großen Stiles in Akte ist eine herkömmliche Gliede-
rung, die doch nur dann sachlich berechtigt ist, wenn sie die äußere
Spiegelung innerlicher Formverhältnisse, d. h. der natürlichen Struktur
des Stoffes, darstellt. Ein allgemein gültiger, weil stets wirksamer
Teilungsgrundsatz läßt sich nur insofern aufstellen, als der Ablauf der
dramatischen Geschehnisse den großen und bleibenden Verhältnissen
des Gefühlsverlaufes entsprechen muß. Geschichtlich ist eine soge-
nannte Technik des Dramas nicht festzulegen, höchstens psycho-
logisch: aus den Aufbaubedingungen heraus, denen jedes verwickelte
Nacheinander von Ereignissen genügen muß, will es überhaupt wirken.
Das fühlte auch Gustav Freytag, als er in seiner »Technik des Dramas«
die fünfaktige Form psychologisch zu rechtfertigen suchte. Im Grunde
konnte er aber über die natürliche Dreiteilung nach den Hauptakzenten:
Einleitung — Höhepunkt — Katastrophe, die durch die beiden Grund-
bewegungen einer steigenden und einer sinkenden Handlung gefordert
werden, nur mit Künsteleien zu einer Fünfteilung gelangen. Werden
doch das »erregende Moment« und das »Moment der letzten Span-
nung« psychologisch keineswegs so gebieterisch verlangt, wie die
Stufen einer Steigerung seelischer Erregung, ihres Gipfelpunktes und
der endlichen Beruhigung; denn diese Momente kennzeichnen den
Ablauf jedes natürlichen Erlebnisses, nicht bloß des dramatischen,
gelten aber darum natürlich auch für dieses.

Kleists Biographen behaupten nun, seine fünfaktigen Dramen (von
dem dreiaktigen »Amphitryon« sehe ich hier ab) seien formal den ein-
aktigen: Guiskard, Penthesilea, Zerbrochener Krug weit überlegen.
Der ununterbrochene rhythmische Fluß der Ereignisse in den ge-
nannten Stücken ohne Akteinteilung soll eine Auflösung der festen
dramatischen Form, ein Sichgehenlassen des Dichters gegenüber der
straffen Gliederung der fünfaktigen Werke bedeuten. Bühnengerechter,
d. h. den Gewohnheiten eines Theaterpublikums angepaßter und zweck-
mäßiger für Darstellungsverhältnisse komponiert mögen der Prinz von
Homburg, Käthchen von Heilbronn und Die Schroffensteiner sein als
jene anderen Dramen, — ob sie innerlich wirklich geschlossener, organi-
sierter sind, scheint mir sehr fraglich; ja, ich möchte in der einaktigen
Form Penthesileas und des Zerbrochenen Kruges der fünfaktigen
gegenüber etwas künstlerisch Ebenbürtiges, vielleicht sogar Über-
 
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