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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 2.1907

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Scheunert, Arno: Über Hebbels ästhetische Weltanschauung und Methoden ihrer Feststellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3530#0077
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ÜBER HEBBELS ÄSTHETISCHE WELTANSCHAUUNG U. S. W. 73,

gegen die Eingliederung der Lehren Hebbels in ein System auftreten,
reden von einer »Ästhetik« Hebbels und von einer Aufgabe, seine Ge-
danken als ein Ganzes zu begreifen x) und seine Reflexionen »zu einer
Kette zu gliedern«. (Hermann Krumm2) 291 m.) Es fragt sich, was
zur Aufstellung eines Systems der Gedanken Hebbels be-
rechtigt. Unter dem System einer Weltanschauung verstehe ich eine
Ordnung von Gedanken nach einem einheitlichen Prinzip, aus welchem
die Welt beziehungsweise diejenigen ihrer Erscheinungen, die der
Denkende für die wichtigsten hält, begriffen und erklärt werden. Wenn
Hebbel versichert, daß dem gesamten Weltlauf das Prinzip der Tragödie
zu Grunde liege, und wenn er dieses Prinzip klarlegt und entwickelt,
so ist zum mindesten die Berechtigung vorhanden, das Aufstellen eines
Systems seiner Weltanschauung zu versuchen, und wenn der Versuch
zeigt, daß fast alle Reflexionen des Dichters Verzweigungen der Grund-
gedanken seines tragischen Prinzipes sind, so besteht die Berechtigung,
das System auch wirklich aufzustellen. Wenn daher gesagt wird, es
verlohne sich zwar, Hebbels Reflexionen zu einer Kette zu gliedern,,
aber man dürfe, da er ein Künstler und kein Philosoph war, ein
System seiner Anschauungen nicht konstruieren, so ist mir von dem
soeben entwickelten Gesichtspunkte aus der Unterschied zwischen »zu
einer Kette gliedern« und »ein System konstruieren« nicht recht klar,
denn ich sehe nicht ein, warum, was sich in ein System bringen läßt,
in ein solches nicht gebracht werden soll. Die Grundbegriffe der
Hebbelschen Weltanschauung sind nicht überaus einfache und leicht zu
erfassende, und es ist klar, daß der, welcher sie nur teilweise oder falsch
aufgefaßt hat und solche fragmentarischen oder falschen Begriffe für
diejenigen des Dichters hält, in einem Systeme seiner Weltanschauung
nichts erblicken kann als eine Vergewaltigung, und daß er ferner die
Verzweigungen der Grundgedanken nicht als solche, sondern als will-
kürliche und gewaltsame Konstruktionen ansehen muß. Diese Kon-
sequenz ergibt sich zwingend. Für den aber, der ein solches System
aufstellt, entsteht die Aufgabe, zu zeigen, erstens, daß die Argu-
mentationen, die zu einer Verurteilung jenes Systems geführt haben,
auf falschen oder unvollständigen und von Hebbel nie aufgestellten
Begriffen beruhen, und zweitens, daß diejenigen Verzweigungen des
Hebbelschen Denkens, deren Verwandtschaft mit den Grundgedanken
seiner Lehre geleugnet und zurückgewiesen wird3), eine solche Ver-

') Meyer 848 u. 834 m.

2) Hermann Krumm, Hebbel als Tragiker, Neue Jahrbücher für das klassische-
Altertum, 9. Jahrg., 1906, XVII. u. XVIII. Bd., 4. Heft, 1. Abteilung (289-307).

s) Diese Auslese nehme ich vor, weil ich mich hier, wie erwähnt, nicht mit


 
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