DANTE UND MICHELANGELOS JÜNGSTES GERICHT. 203
historiker am ehesten erschüttert werden könnte. Die Last zweier so
schweren Quartbände kann nur im Gefühl einer instauratio magna
übernommen werden.
Wir wünschten nur, daß ihm unsere Arbeit zu Gesicht gekommen
wäre, um ihm die Aufgabe von der Seite nahe zu halten, von der wir
sie eingangs charakterisierten. Denn leider hat sie Steinmann nicht
so gefaßt, sondern in dem rein pragmatischen Geiste deiktischer Inter-
pretation, der einfach aufzählt, was alles Michelangelo von Dante im
einzelnen herübergenommen habe. Derartige Danteske Interpretationen
eben des Jüngsten Gerichts in der Sixtina sind gleichzeitig mit Stein-
mann gerade versucht worden. Er selbst kann sie noch als willkür-
lich zu weitgehend bezeichnenx). Wie weit er selbst aber in der
Willkür geht, werden Kenner Dantes auch nur mit gelegentlichem
Kopfschütteln verfolgen.
Es mag noch hingehen, daß ein Paar von den zahllosen, im stand-
losen Raum herumfliegenden Figuren des Jüngsten Gerichts Michel-
angelos nun gerade Dantes Paolo und Francesca sein sollena). Der
große Verächter der Frauenliebe, der das Bild geschaffen, lebte zu
einer Zeit, in der glücklicherweise das Liebespaar von Rimini und der
Vers 138 des V. Gesangs des Inferno noch nicht das einzige waren,
was man von Dante »kennen mußte«. Ich nehme bestimmt an, daß
in seinen bildnerischen Phantasien über seinen Lebensdichter dies
Liebespaar des Troubadoursalons niemals greifbar hervorgetreten ist,
und jeder Kenner Michelangelos wird mir hierin beipflichten. Aber
lassen wir den heutigen Danteverehrern die Freude, auch diese »mo-
dernen« Gestalten des Dichters — allerdings »fast verschwindend«
klein und nur auf der Venustischen Kopie in Neapel überhaupt recht
erkennbar — in der Sixtina zugelassen zu sehen. Etwas bedenklicher
berührt die Herleitung der beiden Engel mit dem großen und kleinen
Buche in der unteren Mittelgruppe des Bildes. Schon ihre Umge-
bung von sieben Posaunenengeln weist ganz streng, wie dies Vasari
(s. u.), nicht so der von Steinmann hierfür angeführte Dialog des
Gilio da Fabriano angibt, auf die sieben Posaunenengel bei den
der göttl. Komödie betrachtet worden ist.« S. 553. — »Keiner der Biographen
Michelangelos ist von Varchis Erkenntnis erleuchtet worden.« S. 565.
') Wolfgang Kailab, Die Deutung von Michelangelos Jüngstem Gericht. In der
Festschrift für Wickhoff. Chapon, Le Jugement dernier. Vgl. Steinmann, besonders
S. 572 ff. Anm.
2) Steinmann II, S. 577: »Gleich unter den nackten Riesen, welche ihr Seelen-
heil vergebens gegen die Abwehr der Engel zu behaupten versuchen ... Francesca
da Rimini und Paolo Malatesta — wer könnte hier anders dargestellt sein?« Die
Heuchler mit den lastenden Bleikutten aus dem 23. Gesänge des Inferno, wie wir
minder »herzbewegend« weiter unten zeigen werden.
historiker am ehesten erschüttert werden könnte. Die Last zweier so
schweren Quartbände kann nur im Gefühl einer instauratio magna
übernommen werden.
Wir wünschten nur, daß ihm unsere Arbeit zu Gesicht gekommen
wäre, um ihm die Aufgabe von der Seite nahe zu halten, von der wir
sie eingangs charakterisierten. Denn leider hat sie Steinmann nicht
so gefaßt, sondern in dem rein pragmatischen Geiste deiktischer Inter-
pretation, der einfach aufzählt, was alles Michelangelo von Dante im
einzelnen herübergenommen habe. Derartige Danteske Interpretationen
eben des Jüngsten Gerichts in der Sixtina sind gleichzeitig mit Stein-
mann gerade versucht worden. Er selbst kann sie noch als willkür-
lich zu weitgehend bezeichnenx). Wie weit er selbst aber in der
Willkür geht, werden Kenner Dantes auch nur mit gelegentlichem
Kopfschütteln verfolgen.
Es mag noch hingehen, daß ein Paar von den zahllosen, im stand-
losen Raum herumfliegenden Figuren des Jüngsten Gerichts Michel-
angelos nun gerade Dantes Paolo und Francesca sein sollena). Der
große Verächter der Frauenliebe, der das Bild geschaffen, lebte zu
einer Zeit, in der glücklicherweise das Liebespaar von Rimini und der
Vers 138 des V. Gesangs des Inferno noch nicht das einzige waren,
was man von Dante »kennen mußte«. Ich nehme bestimmt an, daß
in seinen bildnerischen Phantasien über seinen Lebensdichter dies
Liebespaar des Troubadoursalons niemals greifbar hervorgetreten ist,
und jeder Kenner Michelangelos wird mir hierin beipflichten. Aber
lassen wir den heutigen Danteverehrern die Freude, auch diese »mo-
dernen« Gestalten des Dichters — allerdings »fast verschwindend«
klein und nur auf der Venustischen Kopie in Neapel überhaupt recht
erkennbar — in der Sixtina zugelassen zu sehen. Etwas bedenklicher
berührt die Herleitung der beiden Engel mit dem großen und kleinen
Buche in der unteren Mittelgruppe des Bildes. Schon ihre Umge-
bung von sieben Posaunenengeln weist ganz streng, wie dies Vasari
(s. u.), nicht so der von Steinmann hierfür angeführte Dialog des
Gilio da Fabriano angibt, auf die sieben Posaunenengel bei den
der göttl. Komödie betrachtet worden ist.« S. 553. — »Keiner der Biographen
Michelangelos ist von Varchis Erkenntnis erleuchtet worden.« S. 565.
') Wolfgang Kailab, Die Deutung von Michelangelos Jüngstem Gericht. In der
Festschrift für Wickhoff. Chapon, Le Jugement dernier. Vgl. Steinmann, besonders
S. 572 ff. Anm.
2) Steinmann II, S. 577: »Gleich unter den nackten Riesen, welche ihr Seelen-
heil vergebens gegen die Abwehr der Engel zu behaupten versuchen ... Francesca
da Rimini und Paolo Malatesta — wer könnte hier anders dargestellt sein?« Die
Heuchler mit den lastenden Bleikutten aus dem 23. Gesänge des Inferno, wie wir
minder »herzbewegend« weiter unten zeigen werden.