Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 2.1907

DOI Artikel:
Münzel, Gustav: Das Problem der dritten Dimension in der Kunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3530#0227
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DAS PROBLEM DER DRITTEN DIMENSION IN DER KUNST. 223

beiden gegenüber. Man kann den Unterschied beider Künste für
unsere Frage dahin formulieren, daß die Malerei zu ihrem Zwecke der
dritten Dimension bedarf, daß hingegen in der Plastik der Zweck
gerade in der Darstellung des Dreidimensionalen besteht.

Das Ausgehen von der Zweidimensionalität des Sehens ist aber
auch für das Resultat Simmeis ganz belanglos. Das Auge soll aus der
bloßen Ansicht des plastischen Werkes zur Produktion der dritten Di-
mension angeregt werden. Was heißt das aber? Dies sagt doch nichts
anderes, als daß auf Grund des Augeneindrucks die Dreidimensionalität
des plastischen Gebildes erfaßt wird. Wenn das aber möglich ist, so
können wir eben die dritte Dimension der Dinge sehen, und es ist
ganz gleichgültig, ob wir unser zweidimensionales Sehen durch Hilfe
des Tastsinns so weit gebracht haben, wovon wir bei der Betrachtung
nicht das Mindeste wissen, oder ob unser Auge von sich aus die
Tiefendimension ergreifen kann. Wenn in der Malerei durch das Auf-
treten der dritten Dimension in der Fläche wenigstens der Schein ent-
stehen kann, daß die Zweidimensionalität des Sehens eine Rolle zu
spielen berufen sei, so ist hier, wo die Realität der Tiefe geschaut
wird, davon gar keine Rede, und es bleibt nichts übrig, als daß das
plastische Werk nicht zum Betasten, sondern nur zum Anschauen da
ist. Wenn das der Fall ist, so liegt der Grund nicht in der Unmög-
lichkeit der Betastung, weil das Tastbare als dreidimensionale Realität
nicht das Kunstwerk wäre, sondern darin, daß wir aus ästhetischer
Überlegung von der Betastung deshalb keinen Gebrauch machen, um
die absolute Herrschaft des einen Sinnes über das Kunstwerk nicht
aufzuheben, unter dem die Künste jedesmal stehen, wie dies Simmel
hervorhebt. Trifft das zu, so muß anderseits dieser Sinn auch im
stände sein, das Eigentümliche dieser Kunst zu erfassen.

Es ist ein Versuch mit untauglichen Mitteln und zugleich eine
Trübung der ästhetischen Kategorien, durch Ausbeutung einer für die
Anschauung bedeutungslosen physiologischen Tatsache ästhetische
Werte schaffen zu wollen. Der Unterschied zwischen dem Raum in
der Welt des Kunstwerks und dem in der Welt der Realität besteht
nicht in einer Verschiedenheit ihrer konstruktiven Natur, sondern ihrer
Bedeutung. Der Raum des Kunstwerks ist ideal in dem Sinne, daß
er dieses völlig gegen die reale Wirklichkeit isoliert; es ist eine Welt
für sich, aber eine Welt, deren konstituierende Elemente keine anderen
sind als die der Realität.
 
Annotationen