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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 2.1907

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Baerwald, Richard: Zur Psychologie des Komischen
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https://doi.org/10.11588/diglit.3530#0229
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ZUR PSYCHOLOGIE DES KOMISCHEN. 225

der Apperzeption in den neueren Schriften des Psychologen erhalten
hat, eine Wandlung in seinen an Herbart gemahnenden Grund-
anschauungen bedeutet, halte ich noch nicht für ausgemacht. Die
Apperzeption erscheint bei Lipps mehr als Kraftbehältnis, aus dem die
selbständigen Vorstellungen schöpfen, denn als herrschender Zentral-
wille.

Physikalische Gleichnisse bestimmen Lipps' Gedankenbildungen
nicht minder als diejenigen Herbarts. Die Vorstellungen werden als
fließender Strom aufgefaßt, wobei in erster Linie an den Assoziations-
verlauf gedacht wird. Wie im Flusse dieselbe Wassermenge nach-
einander die verschiedenen Stellen des Flußbettes füllt, so soll es das
gleiche Quantum psychischer Kraft sein, das die aufeinander folgen-
den Vorstellungen einer Assoziationskette bilden hilft, jede kommt
immer auf Kosten der vorhergehenden empor, indem sie deren
psychische Kraft »absorbiert«, eine Auffassung, die sich mit den
derzeitigen physiologischen Anschauungen über die Natur des Nerven-
prozesses kaum in Einklang setzen läßt. Aber noch weiterhin über-
schreitet das Gleichnis die Grenzen der Erfahrung. Der Vorstellungs-
strom soll wie sein Ebenbild in der physischen Natur eine vor-
wärtsdrängende Kraft haben, er soll nicht nur tatsächlich von einer
Vorstellung zur anderen gleiten, sondern auch von einer zur anderen
streben. Die Selbstwahrnehmung zeigt uns offenbar von einem solchen
Weiterdrängen nichts.

Pflichtet man aber dieser Hypothese bei, so ergibt sich ferner, daß,
wenn sich dem vorwärtsstrebenden Flusse eine Hemmung, eine Schleuse
entgegenstellt, die ihm das Weiterfließen unmöglich macht, eine Stau-
ung eintreten muß. Die letzte Vorstellung vor der Hemmungsstelle
wird sehr stark, sehr reich an psychischer Kraft, sie wird in den Blick-
punkt der Aufmerksamkeit gerückt werden. Gleichzeitig erhöht sich,
als Symptom dieses mechanischen Prozesses, ihre Gefühlsbetonung,
oder neue, dem Stauungsvorgang eigene Gefühle treten auf. Endlich
wird die Flut, die gegen die Hemmung andrängt, wenn sie sie nicht
überwältigen kann, nach rückwärts getrieben und wälzt sich auf vor-
her durchlaufene Vorstellungen oder auf vorangehende Glieder der
zu ihr gehörenden Assoziationsketten zurück.

Das beste Beispiel bietet der Fall des Besinnens]). Wir denken
an eine Person und möchten zum Vorstellen des Namens fortschreiten,
aber er fällt uns nicht ein. Nun richtet sich unsere Aufmerksamkeit
auf die Person, und zugleich gewinnt diese einen Grad von Interesse,

') Lipps, »Vom Fühlen, Wollen und Denken« S. 125 ff.; »Leitfaden der Psycho-
logie« S. 240/1.

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. II. 15
 
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