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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 2.1907

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Baerwald, Richard: Zur Psychologie des Komischen
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https://doi.org/10.11588/diglit.3530#0277
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ZUR PSYCHOLOGIE DES KOMISCHEN. 273

er mich durch sein neuerbautes Sanatorium führte, erklärte er mir,
daß er mit Rücksicht auf seine Nervenkranken von allen unruhigen
modernen oder zackigen und eckigen Linienornamenten abgesehen
hätte, weil die dadurch hervorgerufenen Bewegungsvorstellungen
störend und erregend auf die Kranken einwirken müßten. Moderne
runde und geschweifte Möbel, zumal Schreibtische, seien vollends ge-
eignet, einen Menschen ganz wirblig zu machen, man habe das Ge-
fühl, als müsse man beständig um sie herumlaufen. Ich halte diese
Übereinstimmung des echten Pendlers M. mit dem Vater der Pendel-
theorie, Lipps, für keinen Zufall. Die Hereinziehung entlegener und
heterogener Assoziationen in das ästhetische Objekt, seien es nun die
anthropomorphistischen der Einfühlung oder die Bilder und sichtbaren
Vorgänge, die man in musikalische Kunstwerke hineindenkt, ist nur da
möglich, wo jenes ästhetische Objekt mit großer Vertiefung und Ge-
fühlsbeteiligung angeschaut wird, wo dieses Zentrum der Assoziation
eine ausreichende helle Sonne ist, um ihre Strahlen so weit zu senden
und sich durch ihre Irradiation so sehr zu vergrößern. Wo man irgend
einer künstlerischen Darbietung mit geringerem Interesse folgt, pflegen
solche heterogenen Assoziationen ganz zu fehlen. Die Einfühlung kann
hiernach, von mitspielenden individuellen Unterschieden abgesehen, als
Gradmesser der Feinsinnigkeit, der ästhetischen Empfänglichkeit ange-
sehen werden. Mit der ästhetischen Rezeptivität aber ist der Sinn für
das Komische, bei der großen Ähnlichkeit beider inneren Erlebnisse,
zwar nicht regelmäßig, aber doch meist solidarisch. Es will mir hier-
nach scheinen, als wenn die Selbstbeurteilung des Dr. M., der sich ein
starkes Organ für das Komische zuschrieb, durch die geschilderten Be-
obachtungen eine gewisse Stütze erhielt.

Der vierte unserer echten Pendler, Dr. St., berichtet: »daß ich zu
den anschaulich vorstellenden Personen gehöre, denen bei dem inten-
siven Gedanken an eine Rose das plastische Bild derselben, die rosa
Farbe, ja der Rosengeruch aufsteigt. Dasselbe kann ich übrigens auch
von den Gedanken an Austern, Champagner, auch an ein Glas Bier
und selbst eventuell an Limburger Käse sagen. So mache ich mir oft
auch anschauliche Vorstellungen von Personen, Orten, Städten, Hotels,
welche ich noch nicht kenne, welche dann beim Näherbekanntwerden
fast in der Regel nicht zutreffen.« Die zweite Frage, nach der Emp-
fänglichkeit für das Komische, habe ich vielleicht an Dr. St. nicht ge-
stellt, besitze jedenfalls keine Antwort darauf.

Nach der bekannten Galtonschen Enquete sind unter den Gelehrten
Personen mit ausgeprägter Anschaulichkeit des Vorstellens selten. Umso
weniger werden wir es für einen Zufall halten können, wenn gerade
unsere vier echten Pendler, sämtlich Gelehrte von Beruf, sich durch

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. II. 18
 
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