308 AUGUST SCHMARSOW.
Weder die Historie, die überhaupt keine primitiven Völker kennt, noch
die Prähistorie, die uns über die Kulturformen keinen sicheren Auf-
schluß zu geben vermag, sind im stände das zu bieten, worauf es
ankommt. So bleibt nur noch die Ethnologie übrig; und sie kann
uns heute schon eine ganze Reihe von primitiven Völkern »in vollem
Lichte der Gegenwart« zeigen. Die Kunstwissenschaft kann gegen-
wärtig »das ethnologische Material nicht mehr übersehen, wenn sie
es nicht in Verblendung übersehen will«.
Dies letztere ist wohl ein zwingender Grund, die Arbeit ernstlich
in Angriff zu nehmen. Das erstere nennen wir lieber einen Vorschlag,
der sich hören läßt; der Versuch, wie weit uns der Einblick in die
Anfänge helfen kann, lohnt sicher der Mühe, zumal wenn wir die
Hoffnung nicht allzu hoch spannen. Im ganzen begrüßen wir die
Erweiterung des Arbeitsfeldes, die darin ausgesprochen liegt, mit
Freuden. Nur kommt es darauf an, die einheitliche Organisation des
Gesamtgebietes nicht aus den Augen zu verlieren und die kunst-
wissenschaftliche Vorbereitung der Pioniere auch unter den Ethno-
graphen durchzusetzen.
Nach dem Material richtet sich notwendig auch die Methode der
Bearbeitung. Angesichts der Völker, der primitiven zumal, versagt die
»individuelle« Fassung des kunstwissenschaftlichen Problems, und nur
die »soziale Form« vermag der Aufgabe gerecht zu werden. Grosse
fordert also eine »soziale« Kunstwissenschaft. Es kann sich nur darum
handeln, »den Gesamtcharakter räumlich und zeitlich ausgedehnter
Kunstgruppen auf den Charakter eines ganzen Volkes oder einer
ganzen Zeit zurückzuführen«. Dies Kollektivverfahren ist übrigens
auch für die Kunsthistoriker nicht etwa neu oder ungewohnt. Es
waltet überall da, wo wir den Stil einer Zeit als durchgehende Er-
scheinung untersuchen und charakterisieren. Wenn nach Grosses
Darstellung der Schein entstehen könnte, als sei diese Methode bis-
her nicht üblich, so wäre das ein Irrtum. Wenn er abschließend
hinzusetzt: »Während die erste Form psychologisch ist, ist die zweite
soziologisch«, würde ich an letzter Stelle lieber »völkerpsychologisch«
sagen und damit beide Teile unter einem Prinzip zusammenfassen.
Das Vorurteil wenigstens, das Grosse gegen die Psychologie mitbringt
und in der ersten Schrift zur Schau trägt, vermag ich weder für be-
gründet anzusehen noch als einen Vorzug exakter Forschung aufzu-
fassen. Ich bin vielmehr des Glaubens, auch die Ethnographie werde
zu ihrem eigenen Gewinn und zu Gunsten eines gedeihlicheren An-
schlusses an die Gesamtorganisation der Kunstwissenschaft, nach der
wir alle streben sollten, bei ihrer Fragestellung sich selbst entschließen
müssen, zu den Grundproblemen psychologischer Analyse vorzudringen,
Weder die Historie, die überhaupt keine primitiven Völker kennt, noch
die Prähistorie, die uns über die Kulturformen keinen sicheren Auf-
schluß zu geben vermag, sind im stände das zu bieten, worauf es
ankommt. So bleibt nur noch die Ethnologie übrig; und sie kann
uns heute schon eine ganze Reihe von primitiven Völkern »in vollem
Lichte der Gegenwart« zeigen. Die Kunstwissenschaft kann gegen-
wärtig »das ethnologische Material nicht mehr übersehen, wenn sie
es nicht in Verblendung übersehen will«.
Dies letztere ist wohl ein zwingender Grund, die Arbeit ernstlich
in Angriff zu nehmen. Das erstere nennen wir lieber einen Vorschlag,
der sich hören läßt; der Versuch, wie weit uns der Einblick in die
Anfänge helfen kann, lohnt sicher der Mühe, zumal wenn wir die
Hoffnung nicht allzu hoch spannen. Im ganzen begrüßen wir die
Erweiterung des Arbeitsfeldes, die darin ausgesprochen liegt, mit
Freuden. Nur kommt es darauf an, die einheitliche Organisation des
Gesamtgebietes nicht aus den Augen zu verlieren und die kunst-
wissenschaftliche Vorbereitung der Pioniere auch unter den Ethno-
graphen durchzusetzen.
Nach dem Material richtet sich notwendig auch die Methode der
Bearbeitung. Angesichts der Völker, der primitiven zumal, versagt die
»individuelle« Fassung des kunstwissenschaftlichen Problems, und nur
die »soziale Form« vermag der Aufgabe gerecht zu werden. Grosse
fordert also eine »soziale« Kunstwissenschaft. Es kann sich nur darum
handeln, »den Gesamtcharakter räumlich und zeitlich ausgedehnter
Kunstgruppen auf den Charakter eines ganzen Volkes oder einer
ganzen Zeit zurückzuführen«. Dies Kollektivverfahren ist übrigens
auch für die Kunsthistoriker nicht etwa neu oder ungewohnt. Es
waltet überall da, wo wir den Stil einer Zeit als durchgehende Er-
scheinung untersuchen und charakterisieren. Wenn nach Grosses
Darstellung der Schein entstehen könnte, als sei diese Methode bis-
her nicht üblich, so wäre das ein Irrtum. Wenn er abschließend
hinzusetzt: »Während die erste Form psychologisch ist, ist die zweite
soziologisch«, würde ich an letzter Stelle lieber »völkerpsychologisch«
sagen und damit beide Teile unter einem Prinzip zusammenfassen.
Das Vorurteil wenigstens, das Grosse gegen die Psychologie mitbringt
und in der ersten Schrift zur Schau trägt, vermag ich weder für be-
gründet anzusehen noch als einen Vorzug exakter Forschung aufzu-
fassen. Ich bin vielmehr des Glaubens, auch die Ethnographie werde
zu ihrem eigenen Gewinn und zu Gunsten eines gedeihlicheren An-
schlusses an die Gesamtorganisation der Kunstwissenschaft, nach der
wir alle streben sollten, bei ihrer Fragestellung sich selbst entschließen
müssen, zu den Grundproblemen psychologischer Analyse vorzudringen,