326 AUGUST SCHMARSOW.
daß die Sprache, »die für uns dichtet und denkt«, doch auch schon ein
künstlerisches Gebilde ist, und anderseits das Vehikel der Dichtung
wird, zu der auch Mythus und Religion gehören, insofern keine anderen
Zeugnisse ihres Inhalts vorliegen als sprachliche, ja daß die dich-
terische Gestaltung die sprachliche des Volksmundes unmittelbar weiter-
bildet, dann umfaßt die »Kunstpsychologie« ja die poetische Formen-
sprache ebenso wie die bildnerische, die musikalische Ausdrucksbewe-
gung ebenso wie die mimische. Warum sollten Mythus und Religion
nicht auch als künstlerische Gebilde des Menschengeistes gelten?
6. Wenn die Völkerpsychologie es unternimmt, der Kunstwissen-
schaft im engeren Sinne, d. h. für die bildenden Künste, Grundlinien
einer psychologischen Entwicklungsgeschichte vorzuzeichnen und ihr
zur Nachachtung anzubieten, so erwächst uns die Pflicht, sie zu prüfen.
Der Ausgangspunkt ist genau der nämliche; denn auch der Philosoph
will versuchen, »auf Grund der an den Kunsterzeugnissen selbst er-
kennbaren Merkmale die für die Kunstäußerung jeweils maßgebenden
psychischen Motive zu finden.«
Als das Hauptkennzeichen der allerersten Anfänge gilt, daß sie
»Augenblickskunst« sind. Eine flüchtig in den Sand gezeichnete oder
in Baumrinde geritzte oder auch durch zusammengelegte Steine, Baum-
zweige und Ähnliches hergestellte Form ist eine vergängliche Schöpfung,
die der Wind verv/eht oder der nächste vorübergehende Mensch zer-
stört. Solche Augenblickswerke können entweder als Merkzeichen
dienen oder Äußerungen eines Spieltriebes sein, der außer der Lust,
die solches Tun bereitet, keinen Zweck hat. »Welche von beiden Ent-
stehungsursachen die primäre sei, läßt sich nicht entscheiden; nach
Analogie sonstiger Fälle dürfte jedoch die erstere, d. h. die praktische,
der zweiten vorausgegangen sein. ... So, als ein primitives Mittel der
Mitteilung auf kurze Zeit ... steht es gewissermaßen in der Mitte zwi-
schen Gebärdensprache und Bilderschrift.« Was die Augenblickskunst
gegenüber allen späteren Entwickelungen auszeichnet, das ist weniger
die Unvollkommenheit der Gebilde, als »die gänzliche Abwesenheit
künstlerischer Zwecke«. Der primitive Mensch hat bei diesen in einem
vergänglichen Material hergestellten Leistungen »weder den Zweck,
die Gegenstände treu nachzubilden, noch ist es ihm überhaupt um
deren Nachbildung zu tun; sondern er will anderen etwas mitteilen
oder vielleicht auch nur seine eigene Vorstellung dadurch fixieren, daß
er ein äußeres Zeichen macht, das ihn an den Gegenstand erinnert.
Unter Umständen kann daher auch bloß ein Stein oder ein Baumstumpf,
den er zufällig findet, als ein erstes Zeichen dienen, um seine schwei-
fenden Vorstellungen objektiv zu fixieren.« (Die andere der genannten
Entstehungsursachen, das Spiel, wird nicht wieder berührt.)
daß die Sprache, »die für uns dichtet und denkt«, doch auch schon ein
künstlerisches Gebilde ist, und anderseits das Vehikel der Dichtung
wird, zu der auch Mythus und Religion gehören, insofern keine anderen
Zeugnisse ihres Inhalts vorliegen als sprachliche, ja daß die dich-
terische Gestaltung die sprachliche des Volksmundes unmittelbar weiter-
bildet, dann umfaßt die »Kunstpsychologie« ja die poetische Formen-
sprache ebenso wie die bildnerische, die musikalische Ausdrucksbewe-
gung ebenso wie die mimische. Warum sollten Mythus und Religion
nicht auch als künstlerische Gebilde des Menschengeistes gelten?
6. Wenn die Völkerpsychologie es unternimmt, der Kunstwissen-
schaft im engeren Sinne, d. h. für die bildenden Künste, Grundlinien
einer psychologischen Entwicklungsgeschichte vorzuzeichnen und ihr
zur Nachachtung anzubieten, so erwächst uns die Pflicht, sie zu prüfen.
Der Ausgangspunkt ist genau der nämliche; denn auch der Philosoph
will versuchen, »auf Grund der an den Kunsterzeugnissen selbst er-
kennbaren Merkmale die für die Kunstäußerung jeweils maßgebenden
psychischen Motive zu finden.«
Als das Hauptkennzeichen der allerersten Anfänge gilt, daß sie
»Augenblickskunst« sind. Eine flüchtig in den Sand gezeichnete oder
in Baumrinde geritzte oder auch durch zusammengelegte Steine, Baum-
zweige und Ähnliches hergestellte Form ist eine vergängliche Schöpfung,
die der Wind verv/eht oder der nächste vorübergehende Mensch zer-
stört. Solche Augenblickswerke können entweder als Merkzeichen
dienen oder Äußerungen eines Spieltriebes sein, der außer der Lust,
die solches Tun bereitet, keinen Zweck hat. »Welche von beiden Ent-
stehungsursachen die primäre sei, läßt sich nicht entscheiden; nach
Analogie sonstiger Fälle dürfte jedoch die erstere, d. h. die praktische,
der zweiten vorausgegangen sein. ... So, als ein primitives Mittel der
Mitteilung auf kurze Zeit ... steht es gewissermaßen in der Mitte zwi-
schen Gebärdensprache und Bilderschrift.« Was die Augenblickskunst
gegenüber allen späteren Entwickelungen auszeichnet, das ist weniger
die Unvollkommenheit der Gebilde, als »die gänzliche Abwesenheit
künstlerischer Zwecke«. Der primitive Mensch hat bei diesen in einem
vergänglichen Material hergestellten Leistungen »weder den Zweck,
die Gegenstände treu nachzubilden, noch ist es ihm überhaupt um
deren Nachbildung zu tun; sondern er will anderen etwas mitteilen
oder vielleicht auch nur seine eigene Vorstellung dadurch fixieren, daß
er ein äußeres Zeichen macht, das ihn an den Gegenstand erinnert.
Unter Umständen kann daher auch bloß ein Stein oder ein Baumstumpf,
den er zufällig findet, als ein erstes Zeichen dienen, um seine schwei-
fenden Vorstellungen objektiv zu fixieren.« (Die andere der genannten
Entstehungsursachen, das Spiel, wird nicht wieder berührt.)