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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 2.1907

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Meyer, Richard M.: Bemperlein und Gemperlein
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https://doi.org/10.11588/diglit.3530#0378
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374 RICHARD M. MEYER.

1. Eine allgemein gültige Wirkung sprachlicher Bestandteile geht
über das Allgemeinste nicht heraus; alles Speziellere ist durch den Be-
deutungsinhalt der Wörter innerhalb der Nationalsprache mitbedingt;

2. für die speziellere lautsymbolische Wirkung ist die Lagerung
der Akzente und insbesondere der Fall der Schlußkadenz von größerer
Bedeutung als die Gruppierung der einzelnen Laute.

Der erste Satz ist leicht durch eine Vergleichung lautsymbolischer
Gebilde in verschiedenen Sprachen zu veranschaulichen. Nur ein
Beispiel: in Turgenjews »Tagebuch eines Jägers« steht (in der Er-
zählung »Der Wehrwolf«; 1, 161 meiner Ausgabe) zu dem Namen
»Ulita« die Anmerkung: »Klingt im Russischen keineswegs romantisch,
es bedeutet Schnecke.« Der »romantische Klang« der Silben existiert
also nur für uns Deutsche: wir werden etwa an Tonfolgen indischer
Wörter erinnert, jedenfalls aber so stark beeinflußt, daß der Übersetzer
diese lautsymbolische Wirkung ausdrücklich glaubt ablehnen zu müssen!
— Ein anderes gutes Argument für die verschiedene Wirkung von
Namen (und anderen Wörtern) in verschiedenen Sprachen ist der Um-
stand, daß gerade sorgfältige Übersetzer fremde Eigennamen öfters
geändert haben, was z. B. Ibsen, obwohl ungern, gestattete. John
Poulsen in seinen eben erschienenen »Erinnerungen an Ibsen« hätte
besser getan, sich danach zu richten, statt eine liebliche, frische Jugend-
geliebte des Dichters beständig »Rikke« (aus Henrikke) zu nennen: uns
steht nun einmal bei »Ricke« das Bild einer robusten Küchenfee vor
Augen. Natürlich liegt das nicht nur am Klang, sondern auch in der
Erfahrung: durch die Erinnerung an wirkliche »Ricken« wird sogar der
romantische Klang paralysiert wie der von »Ulita« durch die Bedeu-
tung »Schnecke«. Ebenso klingt uns »Trifon« ganz großartig (man
denke nur an griech. Typhon!), während es russisch den Klang unserer
Bedientennamen wie Johann, Gottlieb, Christian hat (bei Turgenjew
a. a. O. 2, 17 Anm. in der Erzählung »Der Kreisphysikus«).

Die lautsymbolische Wirkung ist daher gemeingültig nur in ihren
allgemeinsten Bestandteilen. Ganz uneingeschränkt würde ich kaum
mehr zu behaupten wagen, als daß die dunklen Vokale trüb und
traurig, die hellen heiter und herzerfreuend wirken. Aber selbst das
bedarf empirischer Nachprüfung. Wenn die Chinesen in weißen Klei-
dern trauern, können sie auch ein u als heiter empfinden. Hat doch
schon das Griechische für den dumpfen Laut in vö£, Et6£, Kü>xotoc
einen wesentlich heller gefärbten Vokal.

Auch den zweiten Satz beleuchten unsere Belege. »Ulita« würde
vielleicht ohne seine Bedeutung auch dem Russen romantisch klingen,
weil die Klangverleihung und besonders das nachhallende -ita (wie
in Perdita, Editha) stärker wirken als die einzelnen Laute an sich. Jedes
 
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