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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 2.1907

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Schissel von Fleschenberg, Otmar: Das weibliche Schönheitsideal nach seiner Darstellung im griechischen Romane
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https://doi.org/10.11588/diglit.3530#0391
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DAS WEIBLICHE SCHÖNHEITSIDEAL IM GRIECHISCHEN ROMANE. 387

Bei Xenophon und Heliodor ist Artemis als Jagdgöttin Schönheits-
ideal, bei Achilles und Nicetas ergibt ihr milder Glanz als Mondgöttin
den Vergleich. Freilich muß der maßlose Nicetas das Charakteristische
desselben verwischen, indem er Kalligone als Tochter des Mondes
und der Sonne auffaßt, welche sie sogar noch überstrahlt. Der Glanz
des Mondes genügt ihm nicht mehr. An Achilles Tatius erinnert auch
der Vergleich Charikleiens mit Aurora, den Heliodor (III, 4, p. 272, 25)
aus Homer anzieht. Vollen Schönheitsglanz will Chariton versinn-
bildlichen, wenn er — wie Homer — von seiner Kallirrhoe sagt35):
Nicht menschlich war ihre Schönheit, sondern göttlich, und nicht die
einer Nereide oder Oreade, sondern der noch jungfräulichen Aphro-
dite (vgl. Herod. mim. I, 34). Seltener sind die allgemeinen Glei-
chungen, in denen die Schönheit des Mädchens göttlicher gegenüber-
gestellt wird. Den typischesten Ausdruck finden sie in der Historia
Apollonii36), aber auch Heliodor verwendet sie (I, 2, p. 226, 7) zur
Bezeichnung des ersten Eindruckes, der dann später32) bestimmte
Form annimmt. Boccaccio37) kennt die nämliche Zusammenstellung,
und auch Dares Phrygius wird nichts anderes meinen, wenn er Helena
anschließend an die Beschreibung des Kastor und Pollux (Kap. 12)
»similem Ulis«, diesen ähnlich nennt, ohne daß damit die Porträtähn-
lichkeit ausgeschlossen wäre38).

Zwei schon oben angeführte Stellen aus der Historia Apollonii25)27)
waren den »Zuschauern« in der Menschenmenge in den Mund gelegt,
aus der sich das schöne Mädchen wirksam abhebt. Es kam dies dort
nicht so klar zum Ausdrucke, weil der Inhalt bedeutender war als die
Einkleidung. Sie war dem griechischen Romandichter eine dritte Mög-
lichkeit, ein Lob der Schönheit der Heldin anzubringen. Am beweg-
testen drückt dasselbe wohl Xenophon auf diese Art aus: Alle beteten
sie an und priesen ihre Eltern glücklich. Sprichwörtlich wurde unter
den Zuschauern die schöne Anthia. Als die Schar der Jungfrauen
vorüberzog, hörte man nichts anderes als »Anthia«39). Bei Heliodor
werden Theagenes und Charikleia ob ihrer Schönheit von Weibern, be-
ziehungsweise Männern heiß begehrt (111,4, p. 273, 11). Gesteigert ist
dieses Symptom bei Chariton, wo ähnlich der Historia Apollonii27) der
Ruf der Schönheit des Mädchens von weitester Ferne Bewerber herbei-
lockt4"); analog ist's ja auch bei der Psyche des Apuleius. Ins Affek-
tierte steigert Nicetas diese Wirkung der Schönheit seiner Mädchen,
die sogar Greisen und den Vorübergehenden gefährlich wird, wie bei
Kalligone41), oder die Spielgefährtinnen überwältigt wie bei Drosilla42).

Der Gegensatz zu dieser Darstellungsweise ist die einfach aus-
sagende Mitteilung von Schönheitsbewertungen, wie sie in einem Epi-
theton ornans oder einem Vergleich mit außermenschlichen Gegen-
 
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