SEITENANSICHT UND VORDERANSICHT. 407
Für all diese räumlichen Verhältnisse, das Vor- und Zurückspringen
der einzelnen Teile des Gesichts, orientiert die Profilansicht schneller
und klarer. Sie braucht, im Vertrauen auf die ergänzende Vorstellungs-
tätigkeit des Beschauers, nur je eines der paarigen Organe: Augen,
Ohren u. s. w. zu geben und gibt dafür den Zusammenhang schärfer.
Und was für das Gesicht gilt, gilt auch für die ganze Figur. Die
Faceansicht gibt beide Arme, beide Beine und Füße, die volle Brust.
Über vieles in den räumlichen Verhältnissen der Teile zueinander gibt
sie indessen nur unvollkommenen und groben Aufschluß. Die feinen
Hebungen und Senkungen zwischen Brust und Unterleib, die Vermitt-
lung zwischen Leib und Beinen, die Biegung im Ellbogen und in den
Knien gibt besser die Profilansicht1), auch oft wieder unter Verzicht
auf das Anbringen einzelner paariger Organe, die unter normalen Ver-
hältnissen zur Vervollständigung der Vorstellung einer Persönlichkeit ja
auch unnötig sind. Kurz gefaßt: die Vorderansicht gibt besser
das Verhältnis der räumlich nebeneinander liegenden, die
Seitenansicht besser das der räumlich untereinander liegen-
den Teile.
So Verschiedenes die beiden Darstellungsarten geben, so ver-
schieden sind auch ihre Wirkungen.
In der Vorderansicht gegeben, schreitet der Dargestellte auf den
Beschauer zu, mit durchbohrendem Blick ihn anlodernd, brutal ihn
unter die Füße tretend. Oder mit stillem, ruhigem Blick sieht er ihm
forschend bis auf den Grund der Seele, das Tiefste aus ihm heraus-
holend, fragend, bittend; mit höhnischem Grinsen lacht er ihn aus
(wie etwa der Moqueur von Ducreux), mehr wissend von ihm als
er selber. Oder er zieht sich mit halb verschleiertem Blick in sich
zurück, den Neugierigen halb abwehrend und ihn doch immer wieder
zu sich lockend, ihm sein Geheimnis abzudringen.
In jedem Falle tritt er in direktesten Verkehr mit uns, so gut wie
es ein gerade vor uns Stehender, ein gerade auf uns Zukommender tut.
Anders beim Profil. Der Dargestellte kommt nicht auf uns zu,
sondern geht an uns in der Breitenausdehnung nach links oder nach
rechts vorbei; bei dem eigentlichen Profil, ohne uns nur anzusehen,
ohne Notiz von uns zu nehmen, ja, ohne — infolge der Stellung der
Augen — dazu im stände zu sein. Wie auf der Bühne, wo die Per-
sonen, im Spiel gegeneinander gerichtet, dem Beschauer ihr Profil dar-
bieten. Nicht, wie die Vorderansicht, verlangt oder verträgt es den
Beschauer zur Ergänzung, sondern einen zweiten, ihm Entgegen-
*) Die Darstellung des Fehltritts einer Kallisto wird immer durch eine Profil-
stellung der Schuldigen am klarsten gemacht werden können.
Für all diese räumlichen Verhältnisse, das Vor- und Zurückspringen
der einzelnen Teile des Gesichts, orientiert die Profilansicht schneller
und klarer. Sie braucht, im Vertrauen auf die ergänzende Vorstellungs-
tätigkeit des Beschauers, nur je eines der paarigen Organe: Augen,
Ohren u. s. w. zu geben und gibt dafür den Zusammenhang schärfer.
Und was für das Gesicht gilt, gilt auch für die ganze Figur. Die
Faceansicht gibt beide Arme, beide Beine und Füße, die volle Brust.
Über vieles in den räumlichen Verhältnissen der Teile zueinander gibt
sie indessen nur unvollkommenen und groben Aufschluß. Die feinen
Hebungen und Senkungen zwischen Brust und Unterleib, die Vermitt-
lung zwischen Leib und Beinen, die Biegung im Ellbogen und in den
Knien gibt besser die Profilansicht1), auch oft wieder unter Verzicht
auf das Anbringen einzelner paariger Organe, die unter normalen Ver-
hältnissen zur Vervollständigung der Vorstellung einer Persönlichkeit ja
auch unnötig sind. Kurz gefaßt: die Vorderansicht gibt besser
das Verhältnis der räumlich nebeneinander liegenden, die
Seitenansicht besser das der räumlich untereinander liegen-
den Teile.
So Verschiedenes die beiden Darstellungsarten geben, so ver-
schieden sind auch ihre Wirkungen.
In der Vorderansicht gegeben, schreitet der Dargestellte auf den
Beschauer zu, mit durchbohrendem Blick ihn anlodernd, brutal ihn
unter die Füße tretend. Oder mit stillem, ruhigem Blick sieht er ihm
forschend bis auf den Grund der Seele, das Tiefste aus ihm heraus-
holend, fragend, bittend; mit höhnischem Grinsen lacht er ihn aus
(wie etwa der Moqueur von Ducreux), mehr wissend von ihm als
er selber. Oder er zieht sich mit halb verschleiertem Blick in sich
zurück, den Neugierigen halb abwehrend und ihn doch immer wieder
zu sich lockend, ihm sein Geheimnis abzudringen.
In jedem Falle tritt er in direktesten Verkehr mit uns, so gut wie
es ein gerade vor uns Stehender, ein gerade auf uns Zukommender tut.
Anders beim Profil. Der Dargestellte kommt nicht auf uns zu,
sondern geht an uns in der Breitenausdehnung nach links oder nach
rechts vorbei; bei dem eigentlichen Profil, ohne uns nur anzusehen,
ohne Notiz von uns zu nehmen, ja, ohne — infolge der Stellung der
Augen — dazu im stände zu sein. Wie auf der Bühne, wo die Per-
sonen, im Spiel gegeneinander gerichtet, dem Beschauer ihr Profil dar-
bieten. Nicht, wie die Vorderansicht, verlangt oder verträgt es den
Beschauer zur Ergänzung, sondern einen zweiten, ihm Entgegen-
*) Die Darstellung des Fehltritts einer Kallisto wird immer durch eine Profil-
stellung der Schuldigen am klarsten gemacht werden können.