KUNSTWISSENSCHAFT UND VÖLKERPSYCHOLOGIE. 473
Aufstellung aus: Der primäre Reiz für die künstlerische Phantasie ist
regelmäßig irgend ein Naturgegenstand, der durch seine unmittelbaren
Beziehungen zu den Lebensinteressen des Menschen die Aufmerksam-
keit fesselt und dazu antreibt, ihn nachzubilden. — Die Zierkunst bringt
ihre Zeichnungen oder Bemalungen auf einem Objekt an, das seine
eigene Zweckbestimmung hat. — Bei der Zierkunst geht der primäre
Reiz von einem äußeren Objekt aus, das bereits eine bestimmte Form
hat und bestimmte Zwecke erfüllt (S. 284).
In diesem Ansatz stecken bereits zwei verschiedene Ausgangspunkte,
zwei primäre Reize, die zwei ganz verschiedene Prozesse veranlassen.
Nur der letztgenannte geht die Zierkunst im besonderen an und er-
klärt ihr Wesen im Unterschied von der übrigen Kunst. Der Satz
sagt nur, daß die Oelegenheitsursache für die Betätigung der Zierkunst
immer ein äußeres Objekt sei, das bereits seine Form und seinen Zweck hat
(z. B. Gebrauchsgegenstand, oder der Mensch selbst). Dies Objekt, oder
richtiger Substrat, ist also nichts anderes als »das Mal des Schmuckes«,
wie es Gottfried Semper genannt hat, der vorhandene Mittelpunkt der
Beziehungen, der gegebene Beweggrund und Untergrund zugleich für
die Verzierung. — Der erstgenannte Ausgangspunkt dagegen soll ein
Naturgegenstand (oder ein Objekt der Außenwelt) sein, der den Menschen
dazu antreibt, ihn nachzubilden. Dieser primäre Reiz betrifft also die
bildende Kunst überhaupt, soweit sie nachahmende Hervorbringung
ist, kann also nur die Entstehung der Abbilder, der gegenständlichen
Zeichnungen, erklären, die von der Zierkunst auf ihre Substrate über-
tragen werden. Somit haben wir in diesem ersten Ansatz nichts an-
deres als die alte Theorie von der Nachahmung der Wirklichkeit, für
die Wundt den Aristoteles verantwortlich macht, die er jedoch selbst
als unzureichend beanstandet und erst für das vierte seiner Entwicke-
lungsstadien, die spezifische »Nachahmungskunst«, gelten läßt. Wenden
wir sie auf die Zierkunst an, so soll und kann sie nur dazu dienen,
das einzelne als abbildlich angesehene Ornament, das von jener ver-
wendet wird, auf seinen Ursprung zurückzuführen. Und dies Urbild
müßte danach immer ein Naturding sein. Das setzt also wieder für
die Genesis der Ornamentik die Präexistenz der darstellenden Kunst
(Malerei, Zeichnung u. s. w.) voraus. Der äußere Eindruck, der den
Ausgangspunkt für die künstlerische Betätigung des Menschen her-
gibt, braucht aber doch nicht immer ein Naturding zu sein, das gerade
dazu anreizt, es selber zu reproduzieren, es auf der beliebig vorhan-
denen Unterlage abzubilden. Der primäre Reiz für die bildende Tätig-
keit kann auch im Seelenzustand des Menschen liegen, d. h. im Inneren
des schöpferischen Subjekts. Irgend ein ganz anderes, gar nicht un-
mittelbar mit nachahmlichen Naturgegenständen verbundenes Erlebnis
Aufstellung aus: Der primäre Reiz für die künstlerische Phantasie ist
regelmäßig irgend ein Naturgegenstand, der durch seine unmittelbaren
Beziehungen zu den Lebensinteressen des Menschen die Aufmerksam-
keit fesselt und dazu antreibt, ihn nachzubilden. — Die Zierkunst bringt
ihre Zeichnungen oder Bemalungen auf einem Objekt an, das seine
eigene Zweckbestimmung hat. — Bei der Zierkunst geht der primäre
Reiz von einem äußeren Objekt aus, das bereits eine bestimmte Form
hat und bestimmte Zwecke erfüllt (S. 284).
In diesem Ansatz stecken bereits zwei verschiedene Ausgangspunkte,
zwei primäre Reize, die zwei ganz verschiedene Prozesse veranlassen.
Nur der letztgenannte geht die Zierkunst im besonderen an und er-
klärt ihr Wesen im Unterschied von der übrigen Kunst. Der Satz
sagt nur, daß die Oelegenheitsursache für die Betätigung der Zierkunst
immer ein äußeres Objekt sei, das bereits seine Form und seinen Zweck hat
(z. B. Gebrauchsgegenstand, oder der Mensch selbst). Dies Objekt, oder
richtiger Substrat, ist also nichts anderes als »das Mal des Schmuckes«,
wie es Gottfried Semper genannt hat, der vorhandene Mittelpunkt der
Beziehungen, der gegebene Beweggrund und Untergrund zugleich für
die Verzierung. — Der erstgenannte Ausgangspunkt dagegen soll ein
Naturgegenstand (oder ein Objekt der Außenwelt) sein, der den Menschen
dazu antreibt, ihn nachzubilden. Dieser primäre Reiz betrifft also die
bildende Kunst überhaupt, soweit sie nachahmende Hervorbringung
ist, kann also nur die Entstehung der Abbilder, der gegenständlichen
Zeichnungen, erklären, die von der Zierkunst auf ihre Substrate über-
tragen werden. Somit haben wir in diesem ersten Ansatz nichts an-
deres als die alte Theorie von der Nachahmung der Wirklichkeit, für
die Wundt den Aristoteles verantwortlich macht, die er jedoch selbst
als unzureichend beanstandet und erst für das vierte seiner Entwicke-
lungsstadien, die spezifische »Nachahmungskunst«, gelten läßt. Wenden
wir sie auf die Zierkunst an, so soll und kann sie nur dazu dienen,
das einzelne als abbildlich angesehene Ornament, das von jener ver-
wendet wird, auf seinen Ursprung zurückzuführen. Und dies Urbild
müßte danach immer ein Naturding sein. Das setzt also wieder für
die Genesis der Ornamentik die Präexistenz der darstellenden Kunst
(Malerei, Zeichnung u. s. w.) voraus. Der äußere Eindruck, der den
Ausgangspunkt für die künstlerische Betätigung des Menschen her-
gibt, braucht aber doch nicht immer ein Naturding zu sein, das gerade
dazu anreizt, es selber zu reproduzieren, es auf der beliebig vorhan-
denen Unterlage abzubilden. Der primäre Reiz für die bildende Tätig-
keit kann auch im Seelenzustand des Menschen liegen, d. h. im Inneren
des schöpferischen Subjekts. Irgend ein ganz anderes, gar nicht un-
mittelbar mit nachahmlichen Naturgegenständen verbundenes Erlebnis