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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 2.1907

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Schering, Arnold: Christian Gottfried Krause
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https://doi.org/10.11588/diglit.3530#0554
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550 ARNOLD SCHERING.

bringen« (Vorrede S. 3)a). Viele haben geglaubt, ein Poet müsse der
Sklave der Tonkunst sein und seine Vernunft der Bequemlichkeit des
Komponisten opfern, wenn ein vollkommenes Singstück zu stände
kommen soll: die Poesie verliere da, wo die Musik gewinnt. Das
braucht keineswegs der Fall zu sein. Die Musik kann sich vielmehr mit
der Poesie dergestalt verbinden, daß von beiden zu gleicher Zeit einerlei
Gedanken, Empfindungen und Leidenschaften 'ausgedrückt werden
(Text S. 2), wofür die Kunst der Urzeit als Beispiel angeführt wird.

Um diese vollkommene Einheit und Übereinstimmung von Poesie
und Musik zu bestimmen, wird die Frage erörtert, was für Vorstel-
lungen die Musik denn eigentlich errege (25).

Als Vorbedingung zum Entstehen jeglicher Musik ist ein denkendes
Wesen zu setzen, von dem sie ihren Ausgang nimmt (26). Die von
der Natur gebotenen Töne und Laute, das Rauschen des Bachs, das
Singen der Nachtigall u. s. w., selbst wenn sie »ergötzen«, gehören
noch nicht zur Musik. Jeglicher Ton ist vielmehr ein Gedanke, und
eine »wahre Musik muß rühren und ergötzen zugleich« (26)2). Das
»Ergötzliche« beruht auf dem sinnlich angenehmen Klang der Töne,
ist aber nichts spezifisch Musikalisches; das »Rührende« dagegen ist
eine tiefere Lust und wird durch jenen sinnlich angenehmen Klang
der Seele mitgeteilt, die sich derselben zwar bewußt ist, aber doch
den Vorgang sich nicht deutlich auseinandersetzen kann (27). »Die
größten Musikverständigen gedenken bei recht rührenden Stücken oft
an sonst nichts. Sie sind sich der darin enthaltenen Vorstellungen
wohl bewußt, ihr Gemüt wird aber damit so überhäufet [?], daß sie
sie nicht deutlich machen können, sondern nur klar empfinden« (29).

Krause greift zur Erklärung dieses Vorgangs zur Theorie der klaren
und verworrenen Vorstellungen. Nach der Ansicht der Weltweisen,
heißt es, können die Vorstellungen auf doppelte Art zu größerer Klar-
heit erhoben werden: einmal der Ausdehnung nach (extensiv), d. h.
wenn die Zahl der Merkmale zunimmt, das andere Mal (intensiv), wenn
die Klarheit der Merkmale selbst wächst (29). Der erste Fall tritt ein,
wenn zu einem Thema (Hauptvorstellung) immer »neue rührende Merk-
male« kommen, »die sich aber doch so dazu schicken, daß unsere
Empfindung keinen Widerspruch unter ihnen bemerkt« (30). Solche

*) Die Zitate, auch wo sie nicht in Anführungszeichen gesetzt sind, schließen
sich möglichst dem Wortlaut des Originales an, doch unter Veränderung der alter-
tümlichen Schreibweise.

2) »Rühren« im Sinne des 18. Jahrhunderts soviel wie ergreifen, packen, Stim-
mung erzeugen, wobei also das Vorhandensein von Vorstellungen mit eingeschlossen
ist. Krause definiert später selbst (S. 79): »Man heißet dasjenige rührend, dessen
Gegenwart — auch nur der Einbildung nach — unser Herz in Bewegung setzt.«
 
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