CHRISTIAN GOTTFRIED KRAUSE. 555
rühret unmittelbar und übertrifft darin die Malerei unendlich« (54),
ebenso die Plastik. Ein Bild, eine Statue muß schon sehr rührend
sein und den höchsten Affekt bezeichnen, wenn sie uns bewegen soll,
und auch dann geschieht dies erst durch eine Betrachtung über den
Zustand des Urbildes und nach einem Rückschluß auf uns selbst (54).
Die Musik bedarf solcher Steigerung nicht, sie rührt, wie gesagt, un-
mittelbar und ohne Vermittlung; unsere Seele ist wie ein besaitetes
Instrument, welches mitklingt, wenn man einen Ton angibt (79):).
Indes kann vieles Musikhören und die Kenntnis der Kompositions-
regeln das Verständnis dessen, was die Töne sagen wollen, erhöhen (57).
Die Musik kann auch niemals betrügen oder falschen Schein er-
wecken, wie Beredtsamkeit und Dichtkunst in manchen Fällen (44);
sie meint es stets aufrichtig, und ein simuliertes Mitleiden ist in der
Musik unnachahmbar (73). Das hat in folgendem seinen Grund. Weil
in der Seele alles positiv ist, und gewissermaßen jeder Trieb, jede
Neigung, jede Leidenschaft fortgesetzt die andere aufhebt (ablöst), so
kann man in der Musik auch nur von zu erregenden Rührungen
sprechen (82). Jedes Unterdrücken einer Leidenschaft setzt Vernunft-
schlüsse voraus, d. h. die Erkenntnis, daß dies oder jenes nicht gut
sei. Das ist der Musik nicht gegeben; denn wollte man z. B. jemandem
in einer Arie die Liebe ausreden und sänge ihm vor, daß die Geliebte
seiner Zärtlichkeit unwürdig, daß seine Treue vergeblich sei und er
nie Dank und Gegenliebe erhalten werde, so v/ürde die Musik auf
den Worten »niemals, vergebens, unwürdig« etwas Negierendes, auf
»Gegenliebe, Treue, Zärtlichkeit« aber das Gegenteil, d. h. etwas Be-
stärkendes ausdrücken, — mit anderen V/orten: die Absicht des Sängers
!) Krause zieht zum Beweise die sympathetischen Klänge heran und vergleicht
Seele und Geblüt einem Glase, welches mitschwingt, wenn ein Ton von gewissen
Schwingungsverhältnissen angegeben wird. — Vgl. auch Schopenhauer a. a. O. I, 338:
»Auch muß jene ihre nachbildliche Beziehung zur Welt eine sehr innige, unendlich
wahre und richtig treffende sein, weil sie von jedem augenblicklich verstanden wird
und eine gewisse Unfehlbarkeit dadurch zu erkennen gibt, daß ihre Form sich auf
ganz bestimmte, in Zahlen auszudrückende Regeln zurückführen läßt.« »Dennoch liegt
ihr Vergleichspunkt zwischen der Musik und der Welt, die Hinsicht, in welcher jene
zu dieser im Verhältnis der Nachahmung oder Wiederholung steht, sehr tief ver-
borgen.« Auch nach R. Wagner, Beethoven a. a. O. S. 72 übertrifft die Musik die
Malerei und Plastik an unmittelbarer Wirkung. Vom Schaffen der bildenden Künstler
versucht er nachzuweisen, »daß ihm das willenfreie, reine Anschauen der Objekte
wie es durch die Wirkung des vorgeführten Kunstwerkes bei dem Beschauer wieder
hervorzubringen ist, vorangegangen sein müsse. Ein solches Objekt, welches er
durch reine Anschauung zur Idee erheben soll, stellt sich dem Musiker nun aber
gar nicht dar; denn seine Musik selbst ist eine Idee der Welt, in welcher diese
ihr Wesen unmittelbar darstellt, während in jenen Künsten es erst durch das Er-
kennen vermittelt dargestellt wird.«
rühret unmittelbar und übertrifft darin die Malerei unendlich« (54),
ebenso die Plastik. Ein Bild, eine Statue muß schon sehr rührend
sein und den höchsten Affekt bezeichnen, wenn sie uns bewegen soll,
und auch dann geschieht dies erst durch eine Betrachtung über den
Zustand des Urbildes und nach einem Rückschluß auf uns selbst (54).
Die Musik bedarf solcher Steigerung nicht, sie rührt, wie gesagt, un-
mittelbar und ohne Vermittlung; unsere Seele ist wie ein besaitetes
Instrument, welches mitklingt, wenn man einen Ton angibt (79):).
Indes kann vieles Musikhören und die Kenntnis der Kompositions-
regeln das Verständnis dessen, was die Töne sagen wollen, erhöhen (57).
Die Musik kann auch niemals betrügen oder falschen Schein er-
wecken, wie Beredtsamkeit und Dichtkunst in manchen Fällen (44);
sie meint es stets aufrichtig, und ein simuliertes Mitleiden ist in der
Musik unnachahmbar (73). Das hat in folgendem seinen Grund. Weil
in der Seele alles positiv ist, und gewissermaßen jeder Trieb, jede
Neigung, jede Leidenschaft fortgesetzt die andere aufhebt (ablöst), so
kann man in der Musik auch nur von zu erregenden Rührungen
sprechen (82). Jedes Unterdrücken einer Leidenschaft setzt Vernunft-
schlüsse voraus, d. h. die Erkenntnis, daß dies oder jenes nicht gut
sei. Das ist der Musik nicht gegeben; denn wollte man z. B. jemandem
in einer Arie die Liebe ausreden und sänge ihm vor, daß die Geliebte
seiner Zärtlichkeit unwürdig, daß seine Treue vergeblich sei und er
nie Dank und Gegenliebe erhalten werde, so v/ürde die Musik auf
den Worten »niemals, vergebens, unwürdig« etwas Negierendes, auf
»Gegenliebe, Treue, Zärtlichkeit« aber das Gegenteil, d. h. etwas Be-
stärkendes ausdrücken, — mit anderen V/orten: die Absicht des Sängers
!) Krause zieht zum Beweise die sympathetischen Klänge heran und vergleicht
Seele und Geblüt einem Glase, welches mitschwingt, wenn ein Ton von gewissen
Schwingungsverhältnissen angegeben wird. — Vgl. auch Schopenhauer a. a. O. I, 338:
»Auch muß jene ihre nachbildliche Beziehung zur Welt eine sehr innige, unendlich
wahre und richtig treffende sein, weil sie von jedem augenblicklich verstanden wird
und eine gewisse Unfehlbarkeit dadurch zu erkennen gibt, daß ihre Form sich auf
ganz bestimmte, in Zahlen auszudrückende Regeln zurückführen läßt.« »Dennoch liegt
ihr Vergleichspunkt zwischen der Musik und der Welt, die Hinsicht, in welcher jene
zu dieser im Verhältnis der Nachahmung oder Wiederholung steht, sehr tief ver-
borgen.« Auch nach R. Wagner, Beethoven a. a. O. S. 72 übertrifft die Musik die
Malerei und Plastik an unmittelbarer Wirkung. Vom Schaffen der bildenden Künstler
versucht er nachzuweisen, »daß ihm das willenfreie, reine Anschauen der Objekte
wie es durch die Wirkung des vorgeführten Kunstwerkes bei dem Beschauer wieder
hervorzubringen ist, vorangegangen sein müsse. Ein solches Objekt, welches er
durch reine Anschauung zur Idee erheben soll, stellt sich dem Musiker nun aber
gar nicht dar; denn seine Musik selbst ist eine Idee der Welt, in welcher diese
ihr Wesen unmittelbar darstellt, während in jenen Künsten es erst durch das Er-
kennen vermittelt dargestellt wird.«