Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 2.1907

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3530#0562
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Besprechungen.

Kar Horst, Plotins Ästhetik. Vorstudien zu einer Neuuntersuchung. Bd. I.
Gotha, Friedr. Andr. Perthes, 1905. VI u. 138 S. 8°.

Ohne Zweifel eine lehrreiche Studie; Marburger Schule und ein höchst bezeich-
nendes Spezimen derselben. Man sieht, worauf die Sache hinausläuft. Die Fähigkeit
und der gute Wille, Geschichtliches geschichtlich zu verstehen, ist bis auf die letzte
Spur erloschen. Was »transzendental« ist, ist gut; was nicht transzendental ist, ist
schlecht. Plato ist transzendental, also ist Plato gut; Aristoteles ist nicht transzenden-
tal, also ist Aristoteles schlecht. O du seliger Tennemann! Wenn du in den Höhen
deines transzendenten Himmels noch ein Interesse nimmst an den transzendentalen
Erdenwürmern zu Marburg an der Lahn, welcher Triumph für dich, daß endlich nach
langen Irrwegen die Betrachtung der Geschichte wieder in deine Geleise eingelenkt
hat, nur so viel dunkler, schwerfälliger, willkürlicher, als du es in deiner verhältnis-
mäßig naiven Manier getrieben hast! In der Tat, wir sind weiter zurückversetzt bis
in das Zeitalter des Patritius, des Petrus Ramus und des Baco von Verulam. Als ob
Aristoteles noch heute die Schule beherrschte, allmächtig und despotisch gleich dem
türkischen Sultan, gilt es, ihn auf alle Weise schlecht zu machen, ihn zu verdäch-
tigen, zu vernichten. Daß Aristoteles zu dumm gewesen ist, um die einfachsten
Dinge zu verstehen, das weiß die ganze Welt; warum sollte man es in Marburg
nicht wissen? Aber nicht bloß dumm war er, er war auch schlecht; seine Bosheit
gegen seinen großen Lehrer in der Transzendentalphilosophie kennt keine Grenzen;
er höhnt und schmäht, was er nicht versteht; er verdreht aus purer Rechthaberei
seinem Meister das Wort im Munde; mit unersättlicher Bissigkeit dichtet er ihm
schwache Seiten an, um über ihn herfallen zu können. Es ist ein Schauspiel, das
noch heute den Unwillen und das Mitgefühl zarter Seelen zu entflammen vermag.
Und dabei ist dieser Aristoteles ein ganz gewöhnlicher Empirist, Sensualist, Positivist,
ja ein,naiver Realist. Er muß wohl das alles sein; denn er untersteht sich, eine
andere Ansicht von den Dingen zu haben als die in Marburg approbierte. Schauder-
haft, höchst schauderhaft! Wir haben dergleichen schon früher gelesen, z. B. in der
gleichfalls sehr interessanten Marburger Studie von Görland über Aristoteles und
die Mathematik. Aber Horst geht doch in gleicher Richtung noch viel, viel weiter.
Die ganze Bodenlosigkeit des Aristotelischen Denkens wie seines Charakters hat erst
Horst aufgedeckt. Fortan wird von dem glücklich Entlarvten kein Hund mehr einen
Bissen Brot annehmen.

Der freundliche Leser, der uns bis hierher gefolgt ist, wird verwundert fragen:
Seltsam! da ist immer von Aristoteles die Rede und von der Beurteilung, die er
erfährt; der Titel lautet ja aber: »Plotins Ästhetik«; was hat denn das alles mit Plotin
und mit Ästhetik zu schaffen? Ja, lieber Leser, eben das frage ich auch. Der Be-
richterstatter hat die Aufgabe, den Titel richtig zu bezeichnen: das ist geschehen;
er hat auch den Inhalt gewissenhaft anzugeben: auch das ist nach bestem Wollen
und Können geleistet. Was kann der Berichterstatter dafür, daß in dem Buch alles
Mögliche steht, nur nicht das, was der Titel erwarten läßt! Es sind ja auch nur
 
Annotationen