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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 28.1934

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Schultze-Jahde, Karl: Kritik der Illusionstheorie
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https://doi.org/10.11588/diglit.14173#0100
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BEMERKUNGEN

nehmungen als „normale" festsetzt und ein Stück des Gesamt tatbestandes als
„richtig" annimmt. Die als eine als-ob-Wahrnehmung angesprochene Wahrnehmung
gibt wirklich ein Sosein unter bestimmten Bedingungen, wie auch die „normale"
und „richtige" nur eine Wahrnehmung unter bestimmten Bedingungen ist. In die-
sem Fall von Sinnestäuschung" handelt es sich also um eine Unstimmigkeit zwi-
schen den zugeordneten Wahrnehmungen, die beide ein Sosein unter bestimmten
Bedingungen vermitteln, die Wahrnehmungen sind zuordnungsunstimmig.

b) Auch die Illusion ist eine Wahrnehmung, aber hierbei wird eine Wahr-
nehmung assoziativ überschritten, vorstellungsmäßig ergänzt und wahrnehmungs-
mäßig umgedeutet. Die Nachprüfung ergibt eine als-ob-Wahrnehmung, die vom
Wahrnehmenden als Sosein angesprochen wurde, aber durch Aussonderung des
Vorstellungsüberschusses richtig gestellt wird und als eine als-ob-Wahrnehmung an-
erkannt werden muß: ein Handtuch ist ein Gespenst, ein Fleck an der Wand ein
Nagel, die Musik einer Platte die eines wirklichen Orchesters usw. Der täuschen-
den Wahrnehmung ist nicht ohne weiteres anzusehen, ob sie normal oder zu-
ordnungsunstimmig oder illusionär ist, aber entweder gibt die Nachprüfung die
Aufklärung, oder aber dem Wahrnehmenden sind von .vornherein die Vorbedingun-
gen bekannt, so daß es gar nicht zu einer wirklichen Illusion kommt. Schwimmt
ein krummer Stock so im Wasser, daß das vordere Ende über das Wasser hervor-
ragt, das längere hintere und etwas geschlängelte Ende untertaucht, so kann es
aussehen, als läge eine Schlange im Wasser, zumal die Schlängelung durch die
Brechung verstärkt wird. Bei einer Nachprüfung verschwindet der Vorstellungs-
überschuß und damit die Illusion der Schlange, die Zuordnungsunstimmigkeit aber
bleibt bestehen. Spricht der künstliche Baum auf einer Bühne als wirklicher an, ge-
schieht bei der Nachprüfung dasselbe, zumeist ergeben die dem Zuschauer bekann-
ten Vorbedingungen, daß er eine zuordnungsunstimmige Wahrnehmung ist. Die
Umstellung von einer Illusion auf eine normale oder zuordnungsunstimmige Wahr-
nehmung pflegt von einem mehr oder weniger affektiven Schock begleitet zu sein,
indem sich Überraschung oder Verwunderung einstellt. Die Illusion kann dann
nicht selten willkürlich wieder hervorgerufen werden, ohne jedoch ihre ursprüng-
liche Kraft des Soseins wieder zu erreichen, und der Wechsel kann zu einem tech-
nischen Erlebnisspiel werden. Schließt die Vertrautheit mit den Vorbedingungen
das Entstehen einer ernsthaften Illusion von vornherein aus, so müßte man sich
künstlich in einen illusionsähnlichen Zustand versetzen (Wolken oder Berggruppen,
in die man irgendwelche Wesen „hineinsieht" u. dgl.). Man könnte in diesem Fall
von einer Imagination sprechen, und der angedeutete willkürliche Wechsel wäre
kein Wechsel zwischen Illusion und Desillusion, sondern von Imagination und Des-
imagination in affektausgeglichenem vorstellungstechnischem Spiel.

c) Bei der Halluzination ist keine Wahrnehmungsgrundlage gegeben, sondern
eine bloße Vorstellung spricht als Wahrnehmung an. In besonders affektiv betonten
Fällen spricht man auf optischem Gebiet von einer Vision. Die Nachprüfung ver-
nichtet den Wahrnehmungscharakter der Halluzination völlig.

Auf dem Gebiet der Malerei, das für die Illusionstheorie in erster Linie in
Betracht kommt, ist die Halluzination ausgeschlossen, denn es ist eine Wahr-
nehmung als Bild gegeben, doch besteht die Möglichkeit einer Illusion, weil eine
Wahrnehmungsgrundlage da ist, die zu einem vorstellungsmäßigen Überschreiten
Anlaß geben kann, aber doch nur dann, wenn der Beschauer nicht weiß, daß er
ein Bild vor sich hat, das er auch wissentlich nur für ein Bild nehmen soll.
Auch bei ganz realistischer Inszenierung kann nicht die Absicht bestehen, eine
Wirklichkeit vorzutäuschen, denn das Stück soll nie als Sosein ansprechen, und wo
 
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