BEMERKUNGEN
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nichtillusiver Kunstübung erwachsen, wie schon ihr Verhältnis zum Autor erweist,
dessen Arbeitsgrundlage ja doch nicht Illusion sein kann*).
Die Annahme einer Illusionswirkung durch das Kunstwerk steht also im Wider-
spruch zum Ziel des künstlerischen Schaffens und zum Charakter seines immanenten
Ausdrucksgegenstandes, sie müßte, zumal bei ihrer nahen Verbindung mit der Nach-
ahmungstheorie, das Kunstwerk in die Rolle von Ab- und Nachbild drängen und
damit wieder sich selbst aufheben, weil ja die Illusion selber Wirklichkeit sein will.
Und so zeigt sich, daß sie, obzwar ein Kind der Nachahmungstheorie, sich nicht
einmal mit ihr verträgt. Es dürfte sich erübrigen, auf den so entstehenden theoreti-
schen Wirrwarr weiter einzugehen.
*) Es sei hier anmerkungsweise noch angehängt, daß damit auch eine alte oft
gestellte Frage entschieden ist, die nämlich, ob Panoptikumsbilder als Kunstwerke
angesprochen werden könnten, oder ob Kunstwerke mit Panoptikumscharakter über-
haupt Kunstwerke seien. Sie tauchte besonders beim Streit um die farbige Plastik
auf. Nun hätte man ihr ja gerade von der Illusionstheorie aus ihren Wert nicht
nehmen können, denn je näher der Illusion, desto wertvoller müßte danach doch
das Werk sein. Die Frage, mit der der Apelles-Protogenes-Fall nochmals aufgegrif-
fen wird, und mit deren Beantwortung nun noch eine umfassendere Begründung
gegeben werden kann, erweist sich als unmöglich. Fest steht, daß alle Künstler, die
zum Gegenstand ihres Werkes einen Vorwurf ihrer Wahrnehmungswelt machten,
den engsten Anschluß an diese suchten, ohne damit auf eine Illusion zu zielen. So
haben schon die steinzeitlichen Höhlenbewohner gearbeitet, und selbst wenn diese
etwa, wie vermutet worden ist, und wie es sonst vielfältige Beispiele gibt, mit
diesen Höhlenzeichnungen eine magische Bildwirkung beabsichtigt hätten, so ist
diese magische Wirkung nicht an Illusion durch ein Abbild gebunden. Magische
Wirkung geht von zuständlicher Kinese aus und benutzt nur das Abbild, aber Illu-
sion spielt keine Rolle dabei. Die primitiven Höhlenzeichnungen sind zeichnerische
Expressive optischer Art, analog den akustischen Darstellungsexpressiven, das ist
ihr Ursprung. Für den Charakter eines Kunstwerks ist es nun völlig gleichgültig,
ob es sich streng an den Wahrnehmungsvorwurf hält oder nicht. Tritt bei einem
Werk, beispielsweise also einem Panoptikumsbilde, Illusion ein, so glaubt sich der
Beschauer also einer Wirklichkeit gegenüber (ethische Einstellung), und er kann
sich auf verschiedene Weise dafür interessieren, beispielsweise auch zur Kontem-
plation kommen. Oder er weiß von vornherein Bescheid, und dann ist es ebenso.
Oder es wird nach einer Illusionswirkung die Illusion aufgehoben, es gibt den
üblichen Schock der Erlebnisumstellung, und dann geschieht wieder dasselbe. Ob in
den letzten beiden Fällen das Werk dann als Kunstwerk, d. h. als eine Ausdrucks-
spitzenleistung, anspricht, ist Sache des Urteils über diese Ausdrucksleistung, das,
wie alle solche Urteile, relativ ist. Fällt es positiv aus, so kann die „Panoptikums-
wirkung" dafür ebensowenig verantwortlich gemacht werden, wie wenn es negativ
ausfällt. Denn wie eine Kunstrichtung zur „Natur" steht, hat auch hier prinzipiell
gar keine Bedeutung und ist eine Sache persönlichen Geschmacks und der Mode.
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nichtillusiver Kunstübung erwachsen, wie schon ihr Verhältnis zum Autor erweist,
dessen Arbeitsgrundlage ja doch nicht Illusion sein kann*).
Die Annahme einer Illusionswirkung durch das Kunstwerk steht also im Wider-
spruch zum Ziel des künstlerischen Schaffens und zum Charakter seines immanenten
Ausdrucksgegenstandes, sie müßte, zumal bei ihrer nahen Verbindung mit der Nach-
ahmungstheorie, das Kunstwerk in die Rolle von Ab- und Nachbild drängen und
damit wieder sich selbst aufheben, weil ja die Illusion selber Wirklichkeit sein will.
Und so zeigt sich, daß sie, obzwar ein Kind der Nachahmungstheorie, sich nicht
einmal mit ihr verträgt. Es dürfte sich erübrigen, auf den so entstehenden theoreti-
schen Wirrwarr weiter einzugehen.
*) Es sei hier anmerkungsweise noch angehängt, daß damit auch eine alte oft
gestellte Frage entschieden ist, die nämlich, ob Panoptikumsbilder als Kunstwerke
angesprochen werden könnten, oder ob Kunstwerke mit Panoptikumscharakter über-
haupt Kunstwerke seien. Sie tauchte besonders beim Streit um die farbige Plastik
auf. Nun hätte man ihr ja gerade von der Illusionstheorie aus ihren Wert nicht
nehmen können, denn je näher der Illusion, desto wertvoller müßte danach doch
das Werk sein. Die Frage, mit der der Apelles-Protogenes-Fall nochmals aufgegrif-
fen wird, und mit deren Beantwortung nun noch eine umfassendere Begründung
gegeben werden kann, erweist sich als unmöglich. Fest steht, daß alle Künstler, die
zum Gegenstand ihres Werkes einen Vorwurf ihrer Wahrnehmungswelt machten,
den engsten Anschluß an diese suchten, ohne damit auf eine Illusion zu zielen. So
haben schon die steinzeitlichen Höhlenbewohner gearbeitet, und selbst wenn diese
etwa, wie vermutet worden ist, und wie es sonst vielfältige Beispiele gibt, mit
diesen Höhlenzeichnungen eine magische Bildwirkung beabsichtigt hätten, so ist
diese magische Wirkung nicht an Illusion durch ein Abbild gebunden. Magische
Wirkung geht von zuständlicher Kinese aus und benutzt nur das Abbild, aber Illu-
sion spielt keine Rolle dabei. Die primitiven Höhlenzeichnungen sind zeichnerische
Expressive optischer Art, analog den akustischen Darstellungsexpressiven, das ist
ihr Ursprung. Für den Charakter eines Kunstwerks ist es nun völlig gleichgültig,
ob es sich streng an den Wahrnehmungsvorwurf hält oder nicht. Tritt bei einem
Werk, beispielsweise also einem Panoptikumsbilde, Illusion ein, so glaubt sich der
Beschauer also einer Wirklichkeit gegenüber (ethische Einstellung), und er kann
sich auf verschiedene Weise dafür interessieren, beispielsweise auch zur Kontem-
plation kommen. Oder er weiß von vornherein Bescheid, und dann ist es ebenso.
Oder es wird nach einer Illusionswirkung die Illusion aufgehoben, es gibt den
üblichen Schock der Erlebnisumstellung, und dann geschieht wieder dasselbe. Ob in
den letzten beiden Fällen das Werk dann als Kunstwerk, d. h. als eine Ausdrucks-
spitzenleistung, anspricht, ist Sache des Urteils über diese Ausdrucksleistung, das,
wie alle solche Urteile, relativ ist. Fällt es positiv aus, so kann die „Panoptikums-
wirkung" dafür ebensowenig verantwortlich gemacht werden, wie wenn es negativ
ausfällt. Denn wie eine Kunstrichtung zur „Natur" steht, hat auch hier prinzipiell
gar keine Bedeutung und ist eine Sache persönlichen Geschmacks und der Mode.