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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 28.1934

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BESPRECHUNGEN

Wissenschaften stellt, sondern Funktion und Gebrauch des Geistes in den Mittel-
punkt rückt. Es soll daher ein Bild gegeben werden „von den Ideen der Auf-
klärungszeit", von der „Form und Art der gedanklichen Auseinandersetzung selbst".
Kein Zweifel, daß diese Absicht mit bestem Gelingen durchgeführt wird. Da
indessen eine solche Absonderung des rein Geistigen aus dem Gesamtbereich der
Kultur gerade für die Ästhetik des 18. Jahrhunderts höchst unangebracht wäre, so
ist Cassirer unwillkürlich von seinem Grundsatz abgewichen — nur noch nicht
häufig und entschieden genug. Das Bild, das er zeichnet, ist etwas farblos aus-
gefallen.

Im „Zeitalter der literarischen Kritik" messen sich Logik und Ästhetik anein-
ander und es entsteht die Auffassung, in der Kunst Prinzipien nachzuweisen, wie
sie bereits in der Natur entdeckt waren. Batteux und Boileau rinden auch im Kunst-
werk ein reines Sachgesetz, das mit „Natur" oder — was nahezu dasselbe ist —
mit Vernunft gleichgesetzt werden kann. Die ästhetische Einheit in der Mannig-
faltigkeit wird der mathematischen Einheit in der Mannigfaltigkeit nachgebildet;
Wissenschaft wie Kunst setzen anstelle der Gegenstände selbst ihre Zeichen; Ein-
fachheit gilt als Merkmal sowohl der Wahrheit wie auch der Schönheit. Wenn
Cassirer in diesem Zusammenhange Lessing nennt, so ist das gut begründet, aber
es hätte m. E. der Abstand der deutschen Aufklärung vom französischen Klassi-
zismus schärfer herausgearbeitet werden müssen. Ferner erscheint es mir einseitig,
daß die Wandlung, die in der Ästhetik zur Überwindung der klassizistischen
Theorie führt, schlechthin dem Übergang von Descartes zu Newton gleichgesetzt
wird. Das ist mehr konstruiert als aus der Fülle des geschichtlichen Stoffes ab-
geleitet. — Indem nun ferner die Wendung zum Subjektivismus untersucht wird,
treten Bouhours und Dubos in den Vordergrund. Was Bouhours „delicatesse" nennt,
entspricht jedoch nicht nur einem geschichtlichen Fortschritt, sondern durchaus
auch der Wesensart des gallischen Geistes: die Franzosen haben bis zur unmittel-
baren Gegenwart hin immer wieder die Feinfühligkeit als notwendige Eigenschaft
des Künstlers und eine Feinheit als Merkmal des Kunstwerks gefordert, während
die Deutschen durch die Jahrhunderte hindurch anders gewertet haben. Ebenso
wird man die Tatsache, daß (selbst auf dem Gebiet der Erkenntnis) die Vernunft
ihre Herrscherstellung an die Einbildungskraft abtreten mußte und daß dies durch
Hume bewirkt wurde, mit der Wesensart der Briten in Verbindung bringen dürfen:
English are naturally fancyful. Schließlich stammte ja auch Shaftesbury, in dessen
Lehre die Autarkie der Einbildungskraft und die Autonomie der Schönheit erreicht
wurde, aus dem Inselreich. Cassirers Würdigung des von ihm schon oft behandel-
ten Denkers gehört zu den besten Partien des Buches. Sehr lehrreich ist auch die
dann folgende Erörterung über Gottsched und die Schweizer. Den Vorzug der
deutschen Ästhetik im 18. Jahrhundert sieht Cassirer darin, daß sich jetzt zum
ersten Mal die gesamte Problematik gewissermaßen unter die Obhut der syste-
matischen Philosophie begibt. Von neuem glaubt er jene Einheit des gedanklichen
Gefüges zeigen zu können, die für das 18. Jahrhundert kennzeichnend sein soll:
der Wandel der methodischen Gesinnung im Fortgang von Descartes zu Newton
tritt uns wieder vor Augen in dem Gegensatz zwischen Gottsched und den Schwei-
zern. An Baumgarten hebt der Verfasser hervor, daß er niemals eine dunkle Er-
kenntnis, sondern nur eine Erkenntnis vom Dunkeln forderte; daß er die „sensitive"
Eindringlichkeit, das Unzergliederbare des ästhetischen Eindrucks richtig erkannte;
daß er mit seiner großen Leistung die Bahn für spätere frei gemacht habe.

Viele der Namen, die in dieser Übersicht zu nennen waren, begegnen uns auch
in Anna Tumarkins Buch. Aber natürlich in anderer Beleuchtung. Denn sie werden
 
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