Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 28.1934

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14173#0117
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
BESPRECHUNGEN

103

Sein methodisches Bestreben geht dahin, „die Nähe, die Schrempf erstmals erreicht
hat", zu wahren und „alle Einsicht über Kierkegaard dessen eigenem Umkreis zu
entringen" (13), zugleich aber der „Faszination" zu widerstehen und sich nicht der
Größe der starren Kategorien zu beugen, die uns Kierkegaard unaufhörlich vor
Augen stellt (10). Mit anderen Worten: die Deutung stellt sich selbst unter die
Forderung philosophischer Kritik. Schon um dieser Absicht willen verdient sie auf-
merksamste Beachtung. Denn gerade die, wie uns scheint, dringliche Aufgabe einer
philosophischen Auseinandersetzung ist von der bisherigen Kierkegaard-Literatur
nicht mit Entschiedenheit in Angriff genommen worden. Auch wo sie sich
nicht auf die gläubig interpolierende Auslegung seiner Gehalte beschränkt (das
vollendete Beispiel dieser Art liefert Thust), sondern Kierkegaard philosophisch,
theologisch oder psychologisch kritisiert (Schrempf, Przywara, Vetter), bleibt sie im
Bann seiner Voraussetzungen. W.-A. hat den Mut zur Entschiedenheit der Frage-
stellung: er nimmt Kierkegaard als Denker ernst. Das bedeutet zunächst negativ,
daß er ihn nicht als Dichter versteht, auch nicht als Dichter sui generis, wie ihn
Thust in Anknüpfung an eine Kierkegaardsche Selbstdeutung geschildert hat. Da-
durch hält er sich den Blick frei für die dichterische Ohnmacht Kierkegaards, der
statt zu gestalten den dichterischen Prozeß reflektiert. Gleichzeitig ergibt sich für
ihn die Aufgabe, die Anonymen Kierkegaards durch Aufdeckung ihrer falschen
poetischen Prätention philosophisch zu entlarven: „Kierkegaards ästhetische Figuren
sind einzig Illustrationen seiner philosophischen Kategorien, die sie fibelhaft ver-
deutlichen, ehe sie begrifflich zureichend artikuliert sind" (6). Damit ist aber nicht
eine intellektualistische Umdeutung eingeleitet. Zwar wird der Anspruch des Dich-
terischen (und damit Kierkegaards Selbstauslegung als „Schriftsteller", „Genie")
abgewiesen. Aber die gleiche philosophische Kritik, die diese Destruktion bewerk-
stelligt, leitet zum Verständnis des Bildhaften bei Kierkegaard zurück: sie zeigt, wie
im Scheitern der Erkenntnis das Mythische in bildlicher Gestalt hervorbricht: zu-
gleich Anzeichen für die Unzulänglichkeit der Kierkegaardschen Begriffe und Vor-
zeichnung eines unausdrücklichen, erst in der Deutung zu gewinnenden Sinnes.
So ergibt sich die zunächst überraschende Tatsache, daß der Verf., der entschiedener
als alle bisherigen Interpreten auf begriffliche Kritik drängt, gerade die Analyse des
Bildes weitertreibt als es bisher gelungen ist. Er findet die Geheimnisse des Philo-
sophen Kierkegaard gerade dort, wo er nicht in ausdrücklicher Begrifflichkeit philo-
sophiert. Der Kunst des Verf., einzelne Bilder und Bildbereiche Kierkegaards trans-
parent zu machen, verdanken wir die wertvollsten Abschnitte seines Buches, so vor
allem die Seiten über das „Interieur" (44 ff.).

Wie für die Interpretation des Werkes, so wird auch für die Deutung des
Lebens das Dichterische als Leitbegriff abgewiesen. Man kann unter diesem Leit-
begriff das dichterische Dasein Kierkegaards zunächst (wie Thust) als eine histo-
rische Gestalt des prophetischen Daseins begreifen, durch diese Form zu dem
religiös beglaubigten Gehalt vorzudringen und eine Kierkegaard-Theologie zu ent-
falten suchen. Dieser Umweg über das Ästhetische zur Theologie wird hier ab-
geschnitten: „Kierkegaards Theologie müßte sich auflösen, wofern es zu einer käme"
(133). Kierkegaards Versicherungen, daß er kein gläubiger Christ sei, sagen den
wahren Sachverhalt aus. Aber mit dieser Feststellung nähern wir uns nur schein-
bar der zweiten Version des Versuches, das Ästhetische zur Grundlage der bio-
graphischen Erfassung zu machen, die darin besteht, in unmittelbarer Anknüpfung
an Kierkegaards Selbstinterpretation den Ernst des Verkünders durch Hervorkehrung
des Literatentums zweideutig erscheinen zu lassen (Schrempf). Vielmehr wird die
von Kierkegaard selbst hergestellte Beziehung zwischen dem Mangel eines göttlichen
 
Annotationen