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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 28.1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.14173#0201
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BESPRECHUNGEN

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Ergebnisse setzt dann die experimentelle Arbeit an. Aus wiederholter pädago-
gischer Erfahrung erwächst dem Verfasser die Überzeugung, daß die Märchen-
phantasie mit eidetischer Veranlagung zusammenhängt. Stets von neuem war zu
bemerken, daß die Märchenerzählungen der Kinder aus inneren Anschauungs-
bildern erwachsen, die sich in der Form kinematographenartig abrollender Bilder-
reihen darbieten, untereinander und miteinander in einheitlicher Leitlinie verbunden.
Die Wurzel des Märchens reicht hinab in die Kindheit des Menschen, bezw. in
die Periode spezifisch eidetischer Veranlagung; und zwar erwachsen diese Märchen-
produktionen aus lebhaft angeregter Gefühlstätigkeit. „Das Primäre im Märchen
ist die emotionale Komponente des Psychischen; das pulsierende Gefühl ist es, das
in den Anschauungsbildern nach Ausdruck ringt und in der Beschreibung der An-
schauungsbilder und ihrer Sukzession entringt sich der kindlichen Seele unter
befreiender Gefühlsentspannung das Märchen". Die von Nolte zum Erweis des
„emotionalen Ursprungs des Märchens unter Mitbenützung der Anschauungs-
bilder" angestellten Experimente, sind vornehmlich dadurch gekennzeichnet, daß
hierbei der Verlauf der Anschauungsbilder im Kinde durch musikalische Ein-
wirkung (Geigenspiel) gelenkt wird. Dabei zeigt sich, daß das von dem Kind auf
Grund seiner Anschauungsbilder produzierte Märchen in seinem Stimmungs-
gehalt dem musikalischen Gefühlswert der vorgeführten Tonstücke adäquat war. —
Neben dem kinderpsychologischen Teil steht dann ein vergleichend kunstwissen-
schaftlicher. Nolte überträgt seine These vom Märchen als einer Funktion des
Gefühls, das seinen Weg über die Anschauungsbilder nimmt, auf das Märchen-
schaffen primitiver Völker, womit eine Erkenntnis von Jaensch verwertet wird,
daß der eidetische Tatsachenkreis seine Bestätigung und Erweiterung am Material
der Völkerpsychologie findet. Den Schluß der Arbeit bildet eine pädagogische
Nutzanwendung, in der die Stellung des frei gestalteten Märchens im Aufsatz-
unterricht erörtert wird. Die letzte der zu besprechenden Arbeiten, die Unter-
suchung B. Leinwebers, hat das am weitesten ausgreifende, kunstwissen-
schaftlich interessanteste Thema. Doch entsprechen der Tiefe und Weite der Frage-
stellung die zur Verfügung stehenden Forschungsmittel nicht recht, und so kommt
es hier zu einem Widerspruch zwischen Themensetzung und Ausführung, der in
den vorhergehenden Arbeiten vermieden ist. Hier handelt es sich um nicht mehr
und nicht weniger als um eine letzte Typologie des künstlerischen Schöpfertums,
um eine psychologische Begründung der fundamentalen Stilkategorien, der Grund-
einstellungen des künstlerischen Schöpfertums, um eine Idealtypik der dichterischen
Anlageformen. Der Haupteinwand gegen die Ergebnisse dieser Arbeit richtet sich
gegen Anzahl und Auswahl der hier herangezogenen Versuchspersonen. Aus der
Untersuchung einer ganz geringen Zahl (9!) literarisch tätiger Persönlichkeiten,
die außerdem hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zum Dichtertypus nur sehr zum
Teil werthaft legitimiert sind — manche von ihnen wären weit eher als begabte
Dilettanten anzusprechen, denen die Betätigung auf einem andern Kunstgebiet
nicht weniger naheläge — kann man so weitgehende Feststellungen, wie sie hier
versucht werden, nicht mit Sicherheit gewinnen. Wenn dem Verfasser aber doch
Ergebnisse beachtlicher Art gelingen, so verdankt er das vornehmlich dem Um-
stand, daß seine Untersuchungen durch die Forschungsarbeit anderer Psychologen
der Marburger Schule gestützt werden. Er kann hier die Ergebnisse der noch
unveröffentlichten kunstpsychologischen Arbeit von H. Thomas heranziehen, die
sich ähnliche Aufgaben stellt („Impressionismus und Expressionismus, eine typen-
psychologische Untersuchung impressionistischer und expressionistischer Schaffens-
vorgänge in der Malerei"). Auch die Untersuchungen von V. Lücke über Sonder-
 
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