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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 28.1934

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BESPRECHUNGEN

189

Aufenthaltes in Paris hinweisen, die durchaus nicht sentimental sind und bei denen
man ganz wohl an Stendhal denken mag.

Nun ließe sich darauf erwidern, daß es sich hier gar nicht um den „wahren"
Rousseau handelt, sondern um das Bild, das sich seine Zeitgenossen von ihm
geformt haben. Dann würde sich aber die Frage stellen, welches denn dieser viel-
leicht nur unvollständig verstandene oder geradezu mißverstandene Rousseau war,
wie er sich in seiner Zeit darstellte. Erna Schiefenbusch geht darauf nicht mehr
ein, sie setzt vielmehr einen bestimmten Rousseau voraus, der vielleicht weder dem
wirklichen Jean-Jacques noch dem zeitgenössischen Phaenomen oder Mythus: Rous-
seau ganz entspricht.

Von dieser Vorstellung Rousseaus aus sucht Erna Schiefenbusch nun dessen
Einfluß auf die Kunst zu bestimmen. Dabei taucht sofort eine weitere schwie-
rige Frage auf: wie läßt sich überhaupt der Einfluß Rousseaus feststellen?
Die Kriterien, die Erna Schiefenbusch dafür angibt (vgl. etwa S. 20 f), scheinen
mir denn doch zu unbestimmt zu sein. Man erstaunt manchmal, wenn man sieht,
was hier Alles dem Einfluß Rousseaus zugeschrieben wird. Dabei fehlen ganz
Erwägungen, wie sie sich aus der Anschauung allgemeiner Wandlungen in der
Zeitlage ergeben würden. Das sich konstituierende bürgerliche Bewußtsein macht
im 18. Jahrhundert seinen Einfluß auch in der Kunst geltend. Die moralisierenden
Tendenzen sind ein allgemeiner Ausdruck dieses bürgerlichen Bewußtseins. Men-
schen, die daran gehen, Staat und Gesellschaft zu reformieren, bringen einer
„Part pour 1'art" Betrachtung wenig Verständnis entgegen. Der „Utilitarismus"
ist besonders seit den siebziger Jahren eine ganz allgemeine, mit den Zeitbe-
dingungen zusammenhängende Erscheinung.

Hier ließen sich nun interessante Probleme stellen, wie sie etwa Weisbach für
die französische Kunst in seiner „Französischen Malerei des 17. Jahrhunderts
im Rahmen von Kultur und Gesellschaft" aufgeworfen hat. Dabei müßte immer
daran festgehalten werden, daß der Maler nicht nur Künstler, sondern eben auch
einfach Mensch ist. Wandelt sich nun der Menschentypus, so wandelt sich auch
der Künstler, ohne daß sich doch die Einflüsse, die auf den Menschen gewirkt
haben, ohne weiteres in dem Künstler wiederfinden ließen. Der Künstler als Zeit-
genosse Rousseaus hat, aller Wahrscheinlichkeit nach, einmal die Nouvelle Heloise
gelesen, und vielleicht entscheidende Eindrücke aus dieser Lektüre erhalten. Wie
weit lassen sich nun aber diese Eindrücke auch in der künstlerischen Schöpfung
feststellen?

Vielleicht könnten die Ausführungen über die einzelnen Künstler uns darüber
Aufschluß geben. Die moralisierend-sentimentale Art eines Rousseau konnte nur,
wie Erna Schiefenbusch ausführt, einen schädlichen Einfluß auf die Künstler aus-
üben. Dies würde im Einzelnen aufzuweisen sein. Nun ließe sich zunächst kaum
eine moralistisch-sentimentale Architektur feststellen. Es handelt sich auch bei
Erna Schiefenbusch um Einflüsse, die Rousseau auf Theoretiker der Ästhetik aus-
geübt hat. Aber dies ist nicht die Frage, die wir hier stellen. Das Gleiche gilt
auch tatsächlich für die Skulptur. Freilich könnte es anders in Bezug auf die
Malerei sein, und man ist gespannt darauf, näheres über den verheerenden Ein-
fluß Rousseaus auf die Maler zu erfahren. Im Ganzen ist man aber ziemlich
enttäuscht. Um nur einige Beispiele herauszuheben: Greuze war ein wirklicher
Künstler. Erna Schiefenbusch bemerkt indessen, daß seine Köpfe schlecht ge-
zeichnet sind. Was hat aber dies mit dem Einfluß Rousseaus zu tun? Oder da ist
Madame Vigee Lebrun, über deren künstlerische Qualitäten Erna Schiefenbusch sich
höchst anerkennend äußert. Oder dann wieder Prud'hon, den Erna Schiefenbusch
den „Jean-Jacques de la peinture" nennt, und von dessen Portrait der Kaiserin
 
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