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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 28.1934

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BESPRECHUNGEN

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rein auf die Unterhaltung eines anspruchlosen Publikums abzweckender Improvisa-
tionen, in der Unbekümmertheit der persönlichen Einfälle nicht weniger bedingt
als der kostbare Stil galanter Romane. Die Geschichte des Ritter Hopfensack
und des Prinzen Adimantus sind dünne verworrene Nachklänge der Ritterromane,
ästhetisch meßbar nur an den spärlichen Stellen, in denen sie in Diktion und
Haltung im Fahrwasser ihrer Vorbilder laufen; der Pokazio, der Corylo, der
Feuermäuerkehrer, wenige Stellen ausgenommen, teils grobe Satire, teils breit ge-
schwätziger Kleinstadtklatsch, offensichtlich die Produkte eines zuchtlosen, ge-
sinnungs-, weit- und bildungsarmen, wenn schon öfters frischen Talents.

So trifft zweifellos Alewyns Bestimmung, daß Beer reiner Erzähler gewesen,
am nächsten. „Ihm ist es nicht um Tiefe, sondern um Wirklichkeit zu tun, nicht
um Gehalt, sondern um Welt." (224.) Er ist „reiner Erzähler, einer der reinsten,
die wir besitzen, Erzähler, ohne Kenntnisse vermitteln, Stimmungen oder Gefühle
wecken, Zustände schildern, Menschen zeichnen, Seelen deuten, Probleme erörtern,
Überzeugungen suggerieren zu wollen oder sonstige Nebenabsichten". (224.) Nur
ist dieses, Beers Mangel an jeglichem tieferen Gehalt genugsam herausstellende
Urteil zu ergänzen durch die Einsicht, daß Beer, in Ermangelung einheitlicher und
spannender Fabel, treffender und kunstvoller Diktion auch nicht Erzähler im
novellistischen Sinne, ist. Alewyn sieht dies selbst, wenn er die Kunst des Beer-
schen Erzählens darin findet, „durch das ununterbrochene Nacheinander des ,Und
dann' ohne stoffliche Reize und ohne Stimmungskünste durch die Zeitfolge Breite
und Raum zu erzeugen, sozusagen aus einem einzigen Faden zu weben". (224.)
Alewyn macht das Erzählen, das prägnant nur soziologisch begriffen werden
kann als Gegensatz zum Lesen und Schreiben, oder als Kunst des Erzählens, d. h.
als Vermögen spannender Darstellung, zu einem geheimnisvollen Ursprung Beer-
scher Dichtung, der doch in der Dichtung nirgends aufgewiesen werden kann.
Er vertauscht Improvisieren und Schaffen und legt jenes in die ursprünglichere
Schicht des unmittelbar genialen Fabulierens. Dann freilich muß das schöpferische
Genie Beers, der in sechs Jahren, zwischen seinem 23. und 28. Lebensjahr, mehr
als 4800 Seiten Romane und Satiren schreibt, von denen ein guter Teil die epische
Dichte Grimmelshausen erreichen, ja, übertreffen soll, bewundernswert sein. Über-
sehen wird, daß Erzählen nie dichterischer Ursprung gewesen; vielmehr die alte
epische Darstellung, auch als erzählte oder gesungene, vorliegende Bestände nach-
und langsam umbildete und hierdurch allein ihre epische Dichte bewahrte und
erhöhte.

Diese Beer und seiner Entdeckung anhaftende Problematik weist tiefer zurück
auf Alewyns erkennendes Verhalten, das er in vielen methodischen Bemerkungen
ausspricht. Sie sind der theoretische Niederschlag eines noch schwankenden Ver-
hältnisses zu seinem Erkenntnisgegenstand, das in der Untersuchung nur seinen
praktischen Ausdruck findet. Die durchgängig wenig sorgfältige Diktion fällt auf
bei einem Forscher, der Methode, Tiefe, Gründlichkeit von seiner Mitforschung
so streng tadelnd fordert. Auf nicht mehr als einer Seite stehen „andere Gesetze",
denen die „einen" fehlen; „historisch falsch" statt „unhistorisch"; historisches
„Bewußtsein" statt „historisches Bewußtsein"; „Wörter" statt „Worte"; „Folge-
rungen" statt „Folgen". (110 f.) Sodann verkennt Alewyn, daß von methodischen
Überlegungen mehr gefordert wird als formale Allgemeinheiten. Daß Geschichte
nicht eine „unaufgeräumte Rumpelkammer" sei, sondern es mit geschichtlichen Ge-
setzen zu tun habe, ist selbstverständlich. (110.) Wieso trotzdem das Verstehen
des Individuellen das Endziel aller Historie sei (210), bleibt, so zusammenhanglos
nebeneinander behauptet, dunkel. Man kann das Verstehen nicht in eine grenzen-
 
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