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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 28.1934

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BESPRECHUNGEN

201

darum so vortrefflich zum Charakter der mosaischen Religion". Auch sei das Urbild
aller jüdischen Gotteshäuser, der Tempel Salomonis, seiner äußeren Erscheinung
nach den Bauten der Ägypter wahrscheinlich ähnlich gewesen; es sei also auch vom
historischen Standpunkte aus sinnvoll, eine Synagoge in ägyptischen Formen zu
errichten. Die Aufstellung des Projekts geht also nicht von einer unmittelbaren sinn-
lichen Formvorstellung auf Grund gegebener Mittel und Zwecke aus, sondern von
einer allgemeinen Überlegung über das Wesen gottesdienstlicher Gebäude und einer
historischen Betrachtung über die stilistischen Grundlagen der jüdischen Tempel-
Architektur. Je nach dem Ergebnis solcher Überlegungen — nicht nach der Ver-
schiedenheit der räumlich-körperlichen Konzeption — konnte der einzelne Bau diese
oder jene Gestalt annehmen. Mit historischen und psychologischen, nicht mit eigent-
lich architektonischen Argumenten erhoben sich denn auch Stimmen gegen das
ägyptisierende Projekt. Es sei undenkbar, daß die alten Juden im Stil der Ägypter
gebaut hätten, wären sie dadurch doch stets an eine der traurigsten Epochen ihrer
Geschichte erinnert worden. Viel wahrscheinlicher sei es vielmehr, „daß die späteren
Bauwerke der Juden den Charakter ihrer Grenznachbarn, der Araber, annahmen,
die ihre Zelte zum Vorbild hatten". Man entwarf also einen heuen Tempel mit
riesigein Kuppeldach in einem „taktvoll gemäßigten maurisch-türkischen, präziser
noch islamitischen Stil". Ein historisches Argument glaubten aber die Vorsteher der
jüdischen Gemeinde selbst anführen zu müssen, als sie jetzt den vernünftigen Vor-
schlag machten, „überhaupt nicht in einem orientalischen, sondern in einem euro-
päischen Stil" zu bauen. Sie schrieben, „die längste Periode verlief den Juden im
Abendlande", darum sei es angemessen, daß auch die jüdischen Gotteshäuser jetzt
in einem abendländischen Stil errichtet würden. Ausgeführt wurde der heute noch
stehende Kasseler Bau schließlich im sog. „Rundbogenstyl", einem Gemisch aus
byzantinischen, gotischen und Renaissanceformen, wie es uns aus der gleichen Zeit
ähnlich von den Bauten des Architekten Hübsch in Darmstadt, von manchen Werken
Gärtners in München oder den Arbeiten der Schinkel-Schüler in Norddeutschland
bekannt ist. Vermerkt sei aber auch, daß es in der Geschichte des Kasseler Synagogen-
baus von 1839 bei aller ästhetisch-psychologisch-historischen Beweisführung für den
einen oder anderen Stil zugleich nicht an Stimmen fehlt, die davor warnen, „die
klaren Gedanken des auf seinen Zweck gerichteten bildenden Künstlers durch dunkle
Gefühle zu verwirren", Stimmen, die fordern, daß der Stil des Gebäudes „mit der
durch das Material bedingten Konstruktion im innigen Verhältnis" stehe. Freilich
war es aber auch wohl nur in dieser Zeit möglich, daß der als Sachverständige hin-
zugezogene Kasseler Akademieprofessor H. 1. Wolff in seinem Gutachten riet, Vor-
sorge zu treffen, daß der Bau bei Bedarf an der Eingangsseite um 1—2 Joche ver-
längert werden könne. Er beruft sich dabei auf kein geringeres Vorbild als die
Peterskirche in Rom!

Neben der für die Schaffensweise des architektonischen Eklektizismus so auf-
schlußreichen Synagogengeschichte und einer Geschichte der jüdischen Friedhöfe in
und um Kassel enthält Hallos Schrift einzelne Kapitel über die Kasseler Juden als
Handwerker und als Künstler. Was dort etwa über die Wahl der Handwerkszweige,
denen man sich zuwandte, oder über die schöpferische Potenz, die in den freien
Künsten entfaltet wurde, gesagt wird, ist umso wertvoller, als die gewonnenen Er-
gebnisse nach der positiven wie nach der negativen Seite ähnlich auch für die Juden
außerhalb des Bezirks, den Hallo untersuchte, gelten dürften.

Kassel. Hans Vogel.
 
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