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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 28.1934

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268

BESPRECHUNGEN

mentalproblem nicht berührt, bleiben die wertästhetischen Belange außer Betracht.
Denn die historisch-soziale Kontinuität ist ja im ästhetischen Wertakt unterbrochen,
aufgehoben, womit keineswegs gesagt ist, daß sie in ihrer „Aufgehobenheit" nicht
miterlebt wird. Damit sind also Fragen, wie sich die kontemplativ „aufgehobene"
Polarität im Wertakt selbst als Variation seelischer Schichtungsbereiche geltend
macht; wie sich Individual- und Volksgeist im Werkerlebnis funktional bekundet,
und je nach dem Überwiegen der einen oder anderen Komponente den ästhetischen
Gesamteffekt beeinflußt, von vornherein ausgeschlossen. Zwar spricht Revesz von
der eigenen „Atmosphäre des Werkes" und von „atmosphärischer" Einfühlung,
doch betont er mit Recht entschieden deren außerhistorischen Charakter.

Revesz unterscheidet zwischen künstlerischem und schöpferischem Wert. Der
künstlerische Wert erscheint ihm gegen die Polarität Person—Kollektivum indiffe-
rent — was ich eben in dieser ausschließenden Form nicht anerkennen kann —,
so daß die nachbildende Arbeit, die oft mit dem Charakter von Anonymität auf-
tretende Volkskunst und die traditionsgebundene kollektive Kunst der Primitiven
keinen wesentlichen ästhetischen Wertunterschied aufweisen würden. Somit bleibt
für ihn hier auch die Echtheitsfrage belanglos. Auch eine Kopie kann „gleich-
wertig" sein, wenn sie „von gleichem künstlerischem Werte ist". Das ist natürlich
nicht tautologisch zu verstehen. Gemeint ist nur: für den rein ästhetisch Genießen-
den ist der Marktwert einer Kopie ausschließlich durch den Genuß wert bedingt;
ein falscher van Gogh käme also, dem ästhetischen Wert nach, einem echten, die
Sarburghsche Madonna der Dresdner Gallerie dem Holbeinschen Original in
Darmstadt gleich. — Zu dieser Frage, die sich nachgerade zu einem Skandal der
Ästhetik und Kunstwissenschaft ausgewachsen hat, muß endlich einmal Stellung
genommen werden. Es pflegt im Bereiche anderer Wissenschaften nicht üblich zu
sein, von empirisch-dialektischen Grenzfällen aus die sinngebende Fundamental-
struktur des Forschungsgebietes anzutasten. Wenn wirklich infolge rein artistischer
Bravourtechnik Original und Kopie genußästhetisch nicht zu unterscheiden sind, so
folgt daraus noch nicht, daß der Originalitätscharakter schöpferischer Gegen-
ständlichkeit als ästhetisches Wertapriori abgelehnt v/erden müßte. Der Vorbehalt:
„wenn sie von gleichem künstlerischem Werte sind", ist eine petitio principii, da
eben die Gleichheit des ästhetischen Wertes angezweifelt wird, und bei der Rechts-
frage nach dem Sinn der künstlerischen Leistung die psychologische nach der
Unterschiedsschwelle keine Rolle spielt. Für mich fallen jedenfalls die Begriffe
künstlerisch und schöpferisch zusammen, und ich vermag nicht einzusehen, was die
Frage nach dem Schöpferischen in einem Kunstwerk überhaupt für einen Sinn
haben soll, wenn man sie nicht in engster Verbindung mit ihrer kunstschaffenden
Bestimmung stellt.

Dem ungeachtet sei betont, daß sich mit der vorsichtigen Abwägung der ein-
zelnen methodischen Standpunkte eine Fülle von anregenden Hinweisen verbindet.
Es ist für einen Psychologen besonders bemerkenswert, wenn er den erlebnis-
psychologischen Standpunkt als unergiebig ablehnt, wenn er davor warnt, „die
Bedeutung des Biographischen und Genetischen bei der Beurteilung der objektiven
Leistungen zu überschätzen" und das Werk als die „einzig zuverlässige Urteils-
grundlage" betrachtet. Bedeutungslos für die Aussonderung der beiden Komponen-
ten erscheint dem Verfasser aber auch der sogenannte werkobjektive Standpunkt,
bei dem wir das Werk als Singularität in der „Nahansicht" erleben, d. h. eben
eigentlich ästhetisch unter Einklammerung aller Beziehungen zum historischen
Hintergrund. Es macht sich auch hier wieder die Auffassung geltend, wonach die
kontemplative inoyj) zugleich auch eine ästhetische Indifferenz gegenüber der indi-
 
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