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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 28.1934

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BESPRECHUNGEN

Ausdruck für eine Idee. Daher denn „die Linie des Realismus in der Literatur
immer viel schwerer zu verfolgen ist als in der bildenden Kunst" (159). Illustrie-
render Realismus ist dort selten, emphatischer nicht allzu häufig. „Ein konsequen-
ter ästhetischer Realismus in der Sprache würde auf angewandten Nominalismus
hinauslaufen", der auch der Sprache als Dauerzustand unerträglich ist. Auch in der
Literatur der Renaissance kommt es daher zur Überwindung des Realismus, zu
seiner Aufhebung in Harmonie. „Was in der Malerei Rafael heißt, heißt in der
Literatur Ariost" (160). Rabelais dagegen, dessen Realismus heutige Beurteiler
rühmen, ist Realist dem Stoffe nach, aber nicht in literarischer Absicht und in Form-
gebung. Den „Abgrund", der Rabelais von Ariost trennt, sieht H. durch Michel-
angelo überspannt. Er schließt seine Abwägung der Bedeutung des Realismus für
die Renaissance mit der Feststellung: „für die Renaissance ist er wohl einfach eine
Wachstumskrise"; „Eine neue Symbolik, eine neue Ideographie, Typik oder stili-
stische Gestaltung bezieht meistens ihre Kraft aus der Festigkeit, mit der sie in
einem vorangegangenen Realismus wurzelt. Das gilt von der Renaissance, das gilt
ebenso vom Barock, vom Klassizismus und von der Romantik" (164). —

Über diesen ganzen Aufsatz sind Bemerkungen Huizingas zu der schwierigen,
vielbesprochenen und doch noch ungelösten Frage des zeitlichen Nebeneinander,
Miteinander und Nacheinander der verschiedenen Künste nach ihrer Entwicklungs-
kurve innerhalb des Kulturganzen verstreut in einer Fülle und Tiefe, von der die
vorliegende Besprechung kaum einen schwachen Eindruck zu vermitteln vermag.
Sie kann auch den Reichtum der Töne nicht wiederklingen lassen, die in den übri-
gen sieben Studien angeschlagen werden; so sehr es lockte, an des Verfassers eige-
nen Denk- und Schaffensformen, und an der Abwandlung seiner Ausdrucksformen
je nach dem erforschten Gegenstand die Bestätigung seiner Theorien zu rinden, und
sich tragen zu lassen von dem gewaltigen Strom seiner Sachkenntnis. Denn die Pro-
bleme, um die Huizingas Denken hier kreist, liegen zum Teil weit ab vom Arbeits-
gebiet der „Zeitschrift für Ästhetik", wie VII. „Aus der Vorgeschichte des nieder-
ländischen Nationalbewußtseins", XI. „Der Einfluß Deutschlands auf die nieder-
ländische Kultur", XII. „Amerikanischer Geist". Zum andern Teil werden sie, auch
wo sie den Bereich der Ästhetik und der Kunstwissenschaft berühren, ganz über-
wiegend mit dem Fachinteresse des Historikers im engeren Sinne behandelt, wie in
dem fesselnden 6. Aufsatz: „Bernard Shaws Heilige", „ein paar Rand-
zeichnungen eines Historikers zu dem Stück, das jedermann gesehen oder gelesen
hat" (172). Eine Meisterhand ist hier am Werk. Ein begnadeter Historiker spricht,
dem man die Worte glaubt: „Ich mache mir keine Illusion, daß ich je das fünfzehnte
Jahrhundert oder irgend eine andre Zeit der Vergangenheit auf der Bühne so
sehen werde, wie ich sie im Geist schaue und wie es das belangloseste historische
Dokument, sei es Bild oder Wort mir suggeriert" (179). Die Geistes- und Bildkraft,
mit der H. seine eigenen Gesichte dem Leser vor Augen zu führen vermag, liefert
den Wahrheitsbeweis dafür. Dies hohe Vermögen kommt der Heiligen Johanna zu-
gute. In der Geschichte Jeanne d'Arcs sieht H. ein Thema, das sich gegen litera-
rische Bearbeitung, vor allem gegen Dramatisierung wehrt (181). Er führt den
Nachweis an der Eigenart ihrer Persönlichkeit. „Sie kann in ihrer unableitbaren
Einzigkeit nur verstanden werden mit dem Organ bewegter Bewunderung. Sie eignet
sich nicht für die Aufhellung von Strömungen oder Gedanken ihrer Zeit. Ihre
eigene Person tritt, sobald man ihre Geschichte berührt, völlig in den Mittelpunkt.
Sie gehört zu jenen wenigen Figuren in der Geschichte, die nie etwas anderes als
Protagonisten sein können, die immer Hauptsache, immer Ziel und nie Mittel sind"
(207). Darum mußte Shaw scheitern, dem es nicht auf ein Bild der Vergangenheit,
 
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