Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 28.1934

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14173#0313
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
BESPRECHUNGEN

299

bekannte Beichtwort Didos „Adgnosco veteris vestigia flammae" (Än. IV. 24),
welches zugleich eine so ergreifende Klage ist, könnte keine bessere Übertragung
rinden als die folgende: „Conosco i segni dell'antica fiamma" (Dante, Purg.
XXX. 48). Zum Vergilschen Satz: „solvitque pudorem" (Än. IV. 55) wird immer
als die beste Erläuterung folgender Nachklang bei Tasso gelten:

„......e con quei detti sciolse

alla regina di vergogna il freno" (Rin. IX)

Durch dieses Verfahren wird der Leser instand gesetzt, die Kunst des alten
Dichters als etwas Lebendiges zu erfassen und ihr gerecht zu werden. Eine

schöne Stelle aus Tassos Ger. Lib. (I. 45): „amor ...... che si nutre d'affanni

e forza acquista", welche dem Satz: „volnus alit venis" (Än. IV. 2) an die
Seite paßt, hat der Verf. wohl nicht zur richtigen Geltung gebracht. Für ihn
steht nämlich „venis" für „in venis". Es wäre aber viel besser gewesen, den
Worten Tassos, welche denen von Vergil so nahe kommen, zu lauschen. Man
rindet auch sonst beim Durchgehen der Erläuterungen Buscarolis andere Fälle,
in denen es kaum eine Möglichkeit gibt, sich mit den Ergebnissen zufrieden zu
geben, die der Verf. aus der Vergleichung von vielen Belegen untereinander zu
gewinnen weiß. Der viel umstrittene Satz: „et lumina morte resignat" (Än. IV. 244)
wird vom Verf. nach langem Hinüber- und Herüberreden nicht besser erklärt
als von Lejay, Henry, Conington, Ribbeck, Sabbadini, Albini usw. usw. Aber
sollte hier nicht „resignat" einem „solvit" oder „resolvit" nahestehen? Und sollte
deshalb nicht klar sein, daß Hermes' Stab, von dem hier die Rede ist, den Men-
schen durch den Tod das Augenlicht („lumina") löscht1)? Anderswo kann ich
der vom Verf. bevorzugten Lesart nicht ganz zustimmen, wie es z. B. beim Vers:
„His dictis incensum animum inflammavit amore" (Än. IV. 54) der Fall ist, wo
er mit Sabbadini übereinstimmt und schreibt: „His dictis impenso animum in-
flammavit amore": dies aber übersetzt er dann folgendermaßen: „Con questi detti
le accese il cuore di violento amore." Was die Prosaübersetzung betrifft, die der
Verf. in seinem Buch der Erklärung voranschickt, so glaube ich, daß sie nicht
den besten Teil seines Werkes ausmacht. Sie gibt keine tieferen Aufschlüsse über
den Gedanken Vergils als der Kommentar und bleibt dabei hinter anderen italieni-
schen Vergilübersetzungen zurück. Trotzdem darf das Buch Buscarolis nicht
unterschätzt werden. Das große Verdienst Buscarolis ist das, worauf ich oben
hingewiesen habe, nämlich zu zeigen, wie ein alter Dichter für das Verständnis
des modernen Lesers zu gewinnen sei. Andere Kritiker haben vor ihm versucht,
Vergil durch diese vergleichende Methode zu erklären, aber sie haben sich zu
viel an griechische oder andere römische Dichter gehalten; und wenn sie einige
moderne Dichter heranziehen, so geschieht es ohne besondere Berücksichtigung
derjenigen, die gerade am tiefsten die dichterische Welt Vergils nacherlebt haben.

Halle (Saale). Mario Pensa.

!) Diesen Satz zu verstehen, hilft vielleicht eine andere Stelle aus der Än.
(X. 781—2): „Sternitur infelix ... coelumque Aspicit... moriens ..." Vgl. auch:
Äg. Forcellini Lexicon: „Fortasse etiam resignare est solvere et resolvere eo
sensu, quo Verg. Än. XII. 951: — Uli solvuntur frigora membra —, et Ov. Ib.
148: Sive manu facta morte solutus ero." — Aber auch Forcellini irrt sich, wenn
er „resolvere" mit „corrumpere ac dissolvere oculos" gleichsetzt. Hier ist nicht
lumina = oculos, sondern lumina = visus.
 
Annotationen