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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 28.1934

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BESPRECHUNGEN

301

füllen. Das heißt aber — nun praktisch gesprochen — vor allem, daß Räumlichkeit
und ,Publikum' in ihrem Recht erscheinen müssen; ohne ihr Mitgedachtwerden oder
besser beziehentliches Mitwirken steht ein dramatisches Werk zwar in seiner Wirk-
lichkeit', aber wie eine verhüllte Skulptur vor uns. Erst von der Verschmelzung mit
dem Gehörtwerden und Gesehenwerden, erst aus der spezifischen Seins- und Wir-
kungsweise des theatralischen Raumwerks trägt auch die Handlung ihren Namen
einer ,dramatischen'."

Die Theaterwissenschaft als Kunstwissenschaft hat (im Gegensatz zur Theater-
geschichte) immer noch solche Rechtfertigungen nötig. In diesem Sinne sei hier auf
die entschlossenen Gedankengänge des Verfassers hingewiesen. Sie bedeuten immer-
hin die Grundlage für eine Dramaturgie, die zumindest in gewissen Schichten der
dramatischen Struktur der theaterwissenschaftlichen Anschauungsweise bedarf.
Handlungsstoff, dichterische Formung, spielmäßiges Erlebnis, oder: „objektiver
Werkgehalt, stilgebende Individualität und erlebendes Publikum", so deutet Jung-
hans selbst die drei Faktoren, „deren Vereinigung jedes dramatische Werk in sich
birgt". Mit dem Begriff der Publikumsbezogenheit ist der entscheidende theater-
wissenschaftliche Begriff in diese Lehre vom Dramatischen eingeführt. —

Wenn weiter das Buch drei Dimensionen der Zeit im dramatischen Werk ent-
wickelt, und zwar zunächst auf Grund von Beschreibungen dreier theoretischer Zeit-
begriffe, so stellt sich schließlich abrundend heraus, wie diese dem angedeuteten
System der „konstitutiven Dreiheit" entsprechen. Zum inhaltlichen Bereich des Hand-
lungsstoffes gehört die rational feststellbare objektive Zeit des Verlaufes: die eigent-
liche „Zeiterstreckung". Sie nachzurechnen, war bislang das gewöhnliche Verfahren
der Literaturwissenschaft. Indem Junghans ihre alleinige, ja überhaupt ihre wesent-
liche Bedeutung für die Zeitfrage leugnet, schiebt er auch den alten Einheitsstreit
(— ohne ihn deshalb fortsetzen zu wollen —) auf ein neues Geleise. Der Einheits-
streit knüpfte sich nur an die rationale Nachrechnung der Zeit, anstatt sich an die
allein wirksame „innerlich kontinuierliche dramatische Entwicklung" zu halten,
„deren Gestalt unser Zeit-gebundenes und Zeit-gewöhntes Bewußtsein aus sich selbst
im ästhetischen Erlebnis zur scheinbar geschlossenen Zeitgestalt verdichtet".

Zwischen „Zeiterstreckung" und diese erlebte Zeit (später „Dauer" genannt)
stellt der Verfasser als mittleren modalen Bereich, der Sphäre der dichterischen For-
mung entsprechend und entspringend, die „Zeitbewältigung". So benennt er die Dar-
stellung der Zeitvorgänge, die Art und Weise, Zeitstücke zu schildern, zu verbinden,
zu dehnen, zu beschleunigen, zu überspringen oder einzuflechten, sei es durch äußere
szenische Technik (Lichtveränderungen, akustische Erscheinungen, besondere Auf-
trittsarten nach verdeckten Vorgängen, Dekorations- und Kleidungsveränderungen
usf.) oder durch innere seelische Verknüpfung (Kontinuität) des Handlungs- und
Zeitfortschritts. Hier, als „räumlich bewältigte" Zeit, tritt die Zeit erst eigentlich
in den Bezirk der dramatischen Struktur. Nun läßt sich auch von der Zeitbehand-
lung als Stileigentümlichkeit sprechen, und es sollen uns in der Unterscheidung von
innerer und äußerer Bewältigung geradezu Stilmerkmale in die Hand gegeben wer-
den. „Wie die beiden hervorstechendsten Methoden der Zeitbewältigung die inner-
lich-dichterische und die räumlich-theatralische sind, so scheint sich für das drama-
tische Werk die grundsätzliche Alternative des dynamischen und des theatralischen
Stils zu ergeben." Von hier aus wird die alte Trennung von regelrechtem und freiem
oder klassischem und romantischem Drama gegenstandslos. Junghans motiviert eine
Gegenüberstellung: „Dichterisches Drama" (Shakespeare) und „Szenisches Spiel"
(Dramen der Spanier), und erweist sogleich ihre Brauchbarkeit in einer einleuchten-
den Erklärung der Gliederungseinheiten Akt und Bild, die sich in einer gewissen
Entsprechung auf ihr aufbauen läßt.
 
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