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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 28.1934

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Kainz, Friedrich: Höhere Wirkungsgestalten des sprachlichen Ausdrucks im Deutschen
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FRIEDRICH KAINZ

Figuren" begriffenen Redeformen und Wendungen zogen den Hauptanteil
des sprachästhetischen Beobachtens und Nachdenkens auf sich. Daneben
dämmerte bereits früh, doch ohne zur Klarheit bewußter Einsicht zu ge-
deihen, die Ahnung auf, daß es höhere sprachliche Wirkungsgestalten
gebe, die von unten, von den stilistischen Einzelformen aus, nicht genü-
gend zu bewältigen seien, zu deren Erfassung ein anderer Betrachtungs-
standpunkt gewählt und eine Reihe höherer Grundbegriffe gebildet wer-
den müsse. Nachdem die Elementarformen des Sprachstils in den Kapiteln
von den Tropen und Figuren bis in die verschmitztesten Abschattungen
begrifflich bestimmt und inventarisiert worden waren, fing man an, nach
Gesichtspunkten zu suchen, um die kaum übersehbare Fülle der einzelnen
Ausdrucksmittel psychologisch zu ordnen. So gruppiert man sie etwa nach
ihren Gefühlsvoraussetzungen bei dem sie Gebrauchenden und nach ihrer
Wirkung auf den Apperzipierenden. Man ahnt, daß es auf diese Weise
möglich sein müsse, zu einer höheren Leistungsschicht stilistischer Ord-
nungsbegriffe zu gelangen. In diesem Sinn bemüht sich die Schrift „Ilegl
tqöticov" des jüngeren Gorgias in einem ersten Ansatz, über die äußerliche
Anordnung des Figurenbestandes, die unsystematische Nebeneinander-
reihung der hieher gehörigen Stilmittel dadurch hinauszukommen, daß
sie diese nach dem Gesichtspunkt typischer Gefühlserträge zu ordnen be-
ginnt. Bestimmte Figuren wirken im Sinn von Pathos, Leidenschaft und
betonter Kraft, sie erhöhen Wucht und Eindringlichkeit der Rede ganz
wesentlich. Anderen Stilformen kommt diese Wirkung nicht zu. Auch von
den „yevri", „ägnovtai" und „■/.agay.zfjQEg" aus sucht man die Gefühlserträge
der einzelnen Figuren näher zu bestimmen. Da ich an anderer Stelle von
diesen Dingen einläßlicher gehandelt habe, genüge hier der Hinweis. Nur
von solchen Bemühungen sei noch kurz die Rede, welche geeignet sind, die
diesen Versuchen innewohnende „ratio" deutlich zu machen. So wendet
etwa Adelung1) viel Eifer daran, eine systematisch gliedernde Bewälti-
gung des überlieferten vielspältigen Figurenbestandes zu gewinnen. Seine
Einteilung geht psychologisch vor: in Anlehnung an die Aufklärungs-
seelenkunde, vor allem die Chr. Wolfs, faßt er die Figuren als Mittel, die
„unteren Seelenkräfte in Bewegung zu setzen"; sie zerfallen daher in so
viele Klassen, als untere Seelenkräfte vorhanden sind. Dergestalt ergibt
sich ihm folgende Gliederung: Figuren der Aufmerksamkeit, der Einbil-
dungskraft, Figuren für Gemütsbewegungen und Leidenschaft und
schließlich solche für Witz und Scharfsinn. Seine Gruppe der Figuren der
Gemütsbewegungen und Leidenschaft vereinigt im wesentlichen diejenigen
Stilmittel, die im Sinn gesteigerter Wucht und pathetischer Kraft des Aus-
drucks zu wirken geeignet sind. Er nennt hier: Ausruf, Hyperbel, Cumu-

i) J. Ch. Adelung, Über den deutschen Stil. 2. Aufl. 1787. I. Bd. S. 286.
 
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