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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0077
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BESPRECHUNGEN

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kennt. Da aber in ihnen doch überall eine gleichartige geistige Betätigung und Ge-
setzmäßigkeit waltet, scheint es mir richtiger, den Wortsinn hier als Allgemeinbegriff
aufzufassen und auf diese geistige Struktur aller Kunstschöpfungen zu beziehen. Das
System der Künste glaubt M.-Fr. auch nicht von ihrer polaren Spaltung in die
Gestaltungsrichtungen der musischen Künste des Zeit- und der bildenden des
Raumsinnes ableiten, sondern mehr empirisch auf die psychologische Wesensbestim-
mung der Einzelkünste und außerästhetische Merkmale begründen zu müssen. Ohne
eine streng rationalistische Aufteilung vertreten zu wollen, sehe ich jedoch in der
unbestreitbaren Feststellung, daß die Grenzen zwischen beiden Grundrichtungen
fließende sind, kein Hindernis einer psychologischen Systematik, zumal er die Vor-
herrschaft der einen oder anderen Anschauungsweise und ihrer verschiedenen Sin-
nesgebiete (Gehör und Gesicht) als Erreger des Vorstellungsablaufes hier und da
zugiebt und damit an der Zweiteilung des gesamten Kunstschaffens festhält.

Bei der Stilanalyse der Einzelkünste sucht M.-Fr. nun zuerst die psychogenetische
Wurzel einer jeden bloßzulegen und dann in ihnen die Verflechtung der vier von ihm
in der Untersuchung des Kunstgenießens im I. und des Kunstschaffens im II. Bande
erkannten vier Grundbestandteile, nämlich der sensorischen, motorischen, imagina-
tiven und intellektuellen Gestaltungskräfte, zu emotionalem Zusammenwirken zu ver-
folgen. In der Durchführung dieser Aufgabe liegt der Hauptwert seiner Darstel-
lung. Der knapp bemessene Raum legt mir äußerste Beschränkung in der Wieder-
gabe der Ergebnisse auf, besonders bei den musischen Künsten, für die ich mich auch
nicht völlig zuständig fühle. Hier glaubt sich M.-Fr. trotz seines skeptischen Vor-
behalts berechtigt, sie von einer einheitlichen Urkunst abzuleiten, die er in einem
motorische, sensorische (akustische) und imaginative (mimische) Lebensäußerungen
vereinigenden Tanz erblickt, wie er durch die neuere Völkerkunde z. B. bei den
Wedda beobachtet worden und für alle Primitiven vorauszusetzen sei. Das einigende
Stilmittel desselben, das ihn zugleich als soziales Band zum Gesellschaftstanz er-
hebt, ist von Anfang an der Rhythmus. Als erste Sonderkunst löst sich aus dieser
Einheit der Tanz als ästhetische Körperbewegung ab, und zwar entweder als reiner
oder als dramatischer (pantomimischer) Bewegungsausdruck. Ist die Entstehung der
letzteren Kunstform durch Steigerung der mimischen Mittel (Gebärde und Maske)
leicht zu verstehen, so liegt der Ursprung der ersteren mehr im Dunkel. Von jener
ist sie durch ihre strengere rhythmische Bindung zumal mit Hilfe der Musik unter-
schieden. Die ästhetischen Wirkungen des Tanzes erklärt M.-Fr. auf Grund der
James- Langeschen Theorie (s. meine Bespr. von Bd. I/II) aus der Bedeutung der
Motorik für die Erregung und Übertragung der Gefühle schon durch die bloße
innere Nachahmung. Die Vollendung der Tanzkunst erkennt er wegen der Vernach-
lässigung der Körperbewegung und Unterdrückung der Gebärdensprache auf höhe-
rer Kulturstufe den niederen zu. In den nachfolgenden Ausführungen wird auch die
Musik als Abzweigung von der Urkunst, ihre Entwicklung aber aus der Entfaltung
einer eignen Wurzel verständlich gemacht. Diese entspringt aus der Bevorzugung
der Töne wegen ihrer auf physikalischen Verhältnissen beruhenden regelmäßigen und
darum angenehmeren Reize vor den Geräuschen. Wie sich auf der Unterscheidung
der Intervalle im Zusammensingen die Konsonanz, Polyphonie und auf den durch
Gewöhnung mitbestimmten Tonleitern die Harmonie aufbaut und die mittelalter-
liche Mehrstimmigkeit endlich im XVII. Jahrh. in den Akkorden eine rhythmische
Zusammenfassung mit der melodischen Stimmführung für das Zugleichhören er-
fährt, weiß der Verfasser mit ebenso eindringlichem musikalischem Verständnis wie
umfassender Beherrschung der musikwissenschaftlichen Forschung zu beleuchten.
Daß neben der reinen in der Neuzeit eine Bedeutungsmusik sich entfalten konnte,
 
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