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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0091
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BESPRECHUNGEN

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Handlung der aristotelischen Poetik fallengelassenen Faden wiederaufnimmt, ist
eingeschaltet. Die Hauptteilung, die diesen Aufbau bestimmt, ist nun keineswegs
äußerlich, sondern bringt zum Ausdruck, „daß von Piatons Grundlegung an Schön-
heitsmetaphysik und Kunsttheorie sich abstoßend oder sich vereinigend nebeneinander
herlaufen, und daß hierin das ,geheime Gesetz' der gesamten Entwicklung zu suchen
ist" (85). Wir werden also der Aufteilung des Entwicklungsstroms unter systema-
tischen Gesichtspunkten ihren guten Sinn nicht abstreiten, wenn auch die sich aus ihr
ergebenden Gefahren nicht vollständig vermieden sind. B. bemerkt zwar bei Gelegen-
heit ganz zutreffend, daß Plato durch die Polemik der Politeia „zum philosophischen
Entdecker und Theoretiker der Kunst" wird (92). Aber der von G. Finsler (Plato und
die aristotelische Poetik, 1900) und neuerdings mit schärferer Zuspitzung von
A. Rostagni (La poetica di Aristotele, 1927. Introduzione) aufgewiesene enge Zu-
sammenhang zwischen der Politeia und der Poetik des Aristoteles, der erst den
konkreten Beleg für jene allgemeine Behauptung enthält, kommt nicht zur Darstel-
lung — kann es nicht, weil Plato und Aristoteles in nach Schönheitsmetaphysik und
Kunsttheorie getrennten Abschnitten behandelt werden. Überhaupt will B.s kurzes
Aristoteles-Kapitel nicht recht befriedigen, und auch dies möchten wir, wenigstens
teilweise, auf Trennung des historisch Zusammengehörigen zurückführen. So wert-
voll auch die hier geleistete Herausarbeitung der aristotelischen Begriffe von Kunst
und Nachahmung ist, hätten wir doch eine gründlichere Analyse der den historischen
Wirkungen nach bemessen wichtigsten Schrift der ästhetischen Literatur überhaupt,
der Poetik, gewünscht, als sie B. auf S. 49 gibt. Sie hätte gerade unter den Gesichts-
punkten B.s zu wichtigen Ergebnissen führen müssen. Es hätte sich zeigen müssen,
daß Aristoteles das dichterische Werk nicht nur als Erzeugnis dichterischen Schaf-
fens und als gegenständliche, dem lebendigen Organismus vergleichbare Struktur
erfaßt. Er läßt es zugleich auf die Erzeugung eines jeweils nach der Gattungs-
bestimmtheit besonderen Wohlgefallens (oixsCa fjdovr)) als auf ein von der Dichtung
zu leistendes „Werk" (egyov) hin angelegt sein und fügt es damit einem weiteren
tätigen Lebenszusammenhang ein. Damit wäre gezeigt, wie die „poietische" Lehre
von sich aus in die praktische und politische hinüberführt und wie (ganz im Sinne
von W. Jaegers Entwicklungsgedanken) der Motivzusammenhang, der in Piatos Po-
liteia eine „polemische Poetik" hat erwachsen lassen, noch in Aristoteles bei der Her-
vorbringung einer „positiven Poetik" wirksam ist. Weiter müßte sich von hier aus
ein Verständnis der besonderen „Leistung" der Tragödie, d. h. der wichtigen Kathar-
sis-Lehre ergeben, die von B. nur flüchtig gestreift wird (49). Entsprechend geht uns
auch die Weiterführung der von Aristoteles gestifteten poetischen Tradition im Alter-
tum, in der Renaissance und im Barock verloren. So bleibt der berühmte und wich-
tige Brief Ad Pisones des Horaz außer einer beiläufigen Erwähnung unberücksich-
tigt und Scaliger tritt in einer durch die geschichtliche Entwicklung nicht gerecht-
fertigten Isolierung auf. Das von B. im Hinblick auf die Theorie der bildenden
Kunst abgegebene Urteil: „Für die Poesie war die Lage eine ganz andere: die Vor-
stellung von der Hilfe der Musen und der Einwirkung des Gottes (fiavCa) ließen
Theorie und Norm nicht zu" (58), müßte bei Berücksichtigung dieser Tradition
revidiert oder wenigstens eingeschränkt werden; und in ihr wäre auch ein Rückhalt
gegen die von B. klar erkannten Gefahren der Genie-Ästhetik zu finden (42).

Wie wir bei der Behandlung des Aristoteles den Rückblick auf Plato vermissen,
so bei Plato den Vorblick auf Aristoteles. B. läßt sich sehr viel entgehen, wenn er mit
der Untersuchung des Begriffs der erst in dem Aristoteles-Kapitel einsetzt.

Plato sieht sich bei seiner Suche nach einer höchsten Lebenskunst, der ßaoiliKtf
rt'/yn, vor zwei Modelle kunstmäßigen Tuns gestellt, die jedes in seiner Weise in
 
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