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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0095
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BESPRECHUNGEN

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Vortrag „Die Herrenethik in der isländischen Saga", der ausführlich eingeht auf
Nietzsches Verhältnis zu den germanischen Quellen, gibt für Ästhetik und Kunst-
wissenschaft nichts her, außer der künstlerischen Form seines eigenen Sprachge-
wandes. — Erst Nr. III „Von germanischer und deutscher Art" rückt dem
„germanischen Formgefühl im engeren Sinne", der Kunstform, näher. Dieser Vor-
trag verweilt auf dem Gebiete der „vorrömischen Dichtkunst" (83), der germanischen
Heldendichtung. Ihr Maß, der Stabreimvers, dem Heusler bekanntlich in früheren
Forschungsarbeiten und in seiner „Deutschen Versgeschichte" (besonders Band I,
Berlin und Leipzig 1925, Walter de Gruyter) die angemessene Deutung gab, ist
der greifbare Ausdruck germanischen Formwillens. „Er hat viel Eigenart, einen
kenntlich germanischen Rhythmenstil" (85), der durch wechselnde Füllung große
zeitliche und dynamische Kontraste erreicht, im stärksten Gegensatz zur „ruhigen
Wellenbewegung" des Jambus. „Der germanische Vers will Ausdrucksgebärde, das
Kennzeichnende; nicht sangliche Harmonie" (85). Literatur- und Kunstforschung
sollten es sich nach Heuslers Rat angelegen sein lassen zu ergründen, „ob es
glücken wird, die Folgerungen aus der Sprachkunst in überzeugenden Einklang zu
bringen mit denen aus den Raumkünsten" (85). — Wie sich Nordisches und West-
germanisches in der Dichtkunst gegen einander abgrenzen, das wird mitberührt
in Nr. IV „Das nordische Altertum in seiner Beziehung zum westgermanischen"
(wiederholt aus dem Archiv für neuere Sprachen 142, Braunschweig und Ham-
burg 1921). Dort werden auch die Unterschiede in der Auffassung des Dichter-
gewerbes und der gesellschaftlichen Stellung des Dichters erörtert. Die Gat-
tungen der Dichtkunst finden Erwähnung (98), und die Sonderform der islän-
dischen Wortkunst, die Sag a, wird kurz charakterisiert. Sie bildet den Gegenstand
des letzten der sechs Vorträge, die sich der Altgermanischen Sittenlehre anschließen:
„Die altisländische Saga und unser deutscher Prosasti 1".
Dem Gedankengehalt dieses Vortrages gebührt Raum in unserer Zeitschrift. Heus-
ler versteht es, ihn von den sprachlichen Fesseln der Fachwissenschaft zu lösen,
ohne ihm etwas an Klarheit und Begriffsschärfe zu rauben. So sehr entspricht die
Saga seinem eigenen Formgefühl —■ diesen Eindruck wird man beim Genuß seiner
Sprache nicht los —, daß er die Eigentümlichkeiten ihrer Prosa zugleich behandelt
und veranschaulicht. Die Saga, die nordische Prosaepik, will als Kunst gelten. Das
Gefühl für ihren künstlerischen Reiz mußte der Mehrzahl der heutigen Menschen
erst anerzogen werden. Auch den sonst künstlerisch Ansprechbaren geht der Wert
dieses nordischen Erbguts nicht sogleich ein. Vor allem einem Geschmack, der
sich an den Griechen und dem Alten Testament schulte, fehlt vielfach der „Schall-
boden" für die Saga. So bezeugt es Heusler aus eigenem Erlebnis für Herman
Grimm und auch für Dilthey: „die Saga — in Verdeutschungen — blieb ihnen
eine zur Parodie reizende Wunderlichkeit" (131). (Den Kenner von Diltheys eige-
ner sprachlicher Formgebung nimmt das gewiß nicht wunder. Ihm, der sich auf
Wortwellen wiegt, müssen die spärlichen Redetropfen der Sagaleute armselig vor-
kommen. Weniger zu sagen als man denkt und weiß, knapp und doch klar anzu-
deuten, diese Gaben blieben ihm versagt. Aus Heuslers Bemerkung erfahren wir,
daß er sie auch nicht zu würdigen wußte). Einer der Ersten, die sich am Sprach-
gefühl der Saga schulten, war Ibsen. — Die Saga ist eine „Prosa erster Hand"
(132), im „frei mündlichen Betriebe" ausgebildet, buchlos; mit „Familien- und
Bezirksdenkwürdigkeiten der Heimat" als Stoff. Sie will in ihrem Kern „glaubhafte
Historie" sein, „Wirklichkeitsbericht". „Das Recht der Erfindung nahm man in An-
spruch für die Hülle" (132), doch auch nur im Rahmen des Möglichen, ohne
Übergriffe in den Bereich des Wunderbaren und des Märchenhaften. Bei aller

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XXIX.

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