Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

DOI Artikel:
Eibl, Hans: Religion, Weltanschauung, Kunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0112
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
98

HANS EIBL

sätzlich, eine eindeutige sittliche Einstellung. Freilich bringt es die Be-
schränktheit und Schwäche der menschlichen Natur mit sich, daß die
moralische Haltung eines Menschen nicht immer seiner Weltanschauung
entspricht. Es kommt vor, daß die seelische Kraft in solchem Ausmaße
auf den begrifflichen Ausbau eines Weltbildes aufgewendet wird, daß der
Wille zur Tat einschrumpft; sowie es umgekehrt viele Menschen gibt, die
sehr entschieden und folgerichtig nach sittlichen Grundsätzen handeln,
auch diese Grundsätze den großen Grundgedanken eines Weltbildes ein-
fügen, aber doch nicht das Bedürfnis fühlen, ihre Gedanken bis ins ein-
zelne an der wissenschaftlichen Erfahrung zu erproben.

Was nun den Begriff des Religiösen betrifft, so kann man ihn zunächst
unter den allgemeinen Begriff der Weltanschauung bringen, indem man
unter den mannigfaltigen Weltanschauungen auch religiöse als besondere
Arten unterscheidet. So sieht die Sache für den Systematiker aus, dem es
darauf ankommt, verschiedene Gegenstände in eine begriffliche Ordnung
zu bringen. Der religiös Ergriffene freilich fühlt gegen diese kühle Art
der Betrachtung inneres Widerstreben. Für ihn ist Religion nicht bloßes
Anschauen der Welt, nicht ein bloß theoretisches Verhalten der Welt
gegenüber, ja sie ist für ihn gar nicht in erster Linie ein solches Verhal-
ten. Er ist wohl auch ein Anschauender und hat auch als solcher die Er-
scheinungswelt durchbrochen, er hat sich aber mit ganzem Herzen, mit
allen seinen Kräften, nicht mit dem Denken allein, in das jenseits der Er-
scheinungen liegende Metaphysische versenkt, das für ihn nun nicht mehr
etwas bloß Metaphysisches im Sinne eines allgemeinen Seins ist. Er hat
als handelnde Persönlichkeit die Erscheinungswelt überwunden und sich
in eine andere Wirklichkeit, in das Göttlich-Persönliche gestürzt, ja es ist
nicht einmal genau gesagt, daß er sich in das Göttliche gestürzt habe,
sondern E s hat sich auf ihn gestürzt, der Religiöse hat den Eindruck,
daß das Göttliche aus dem Jenseits hervorgebrochen sei, Vordergrunds-
wirklichkeiten, auch die des Erlebenden selbst, zertrümmernd und ein-
schmelzend, und so gleichzeitig gnädig und furchtbar das menschliche
Wesen des Ergriffenen vernichtet und verwandelt habe. Der religiöse
Mensch fühlt sein Ich von einem göttlichen Ich „aufgehoben", nämlich
vernichtet, bewahrt und erhöht und an diese Erfahrung, die zu bezeich-
nen die Wörter der Alltagssprache völlig ungenügend sind, reicht denn
auch der kühle Ausdruck Weltanschauung nicht heran. Gleichwohl kann
der Systematiker bei dem Worte bleiben und das Religiöse, insofern es
doch auch eine Ansicht von der Welt in sich schließt, unter den allgemei-
nen Begriff der Weltanschauung bringen. Das Wort Welt hat eben dann
einen anderen Inhalt. Während der Metaphysiker darunter die Summe
dessen versteht, was in unmittelbarer und mittelbarer Erfahrung gegeben
ist, und dessen, was zur Ergänzung und Abrundung dieser Erfahrung
 
Annotationen