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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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Gatz, Felix M.: Die Theorie des L'art pour l'art und Théophile Gautier
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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0153
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DIE THEORIE DES L'ART POUR L'ART U. THEOPHILE GAUTIER j39

Kunst. Worte und Wortverbindungen, Wort-Gestaltungen und Wort-
gestalten aber, die — wenn auch sicher kein großes Werk der Lyrik
Gefühle und Gefühlszustände „beschreibt" — noch eine Spur von Be-
ziehung auf die Welt jenseits der Worte haben ... sind nicht mehr oder
noch nicht echte Kunst! Gautier zweifelt tatsächlich an der Fähigkeit
der Wort-Kunst, autonom zu sein. Aber nicht dies ist für das Verständ-
nis von Gautiers ästhetischen Tendenzen das Wichtigste, sondern die
Einsicht in die Tatsache, daß Gautier begriffen hat, daß zum Wesen
der Kunst absolute Autonomie gehört! Man spürt, wie der Dichter
Gautier deshalb um die Autonomie wirbt, wie er geradezu ringt um sie
für die geliebte Poesie. So heißt es in der Beaudelaire-Einleitung, daß
die Poesie kein anderes Ziel hat als sich selbst und daß kein Gedicht
dieses Namens würdig ist als dies, welches geschrieben ist einzig und
allein um der Freude willen ein Gedicht zu schreiben. „La poesie n'a
pas d'autre but qu'elle meine; eile ne peut pas en avoir d'autre et aucun
poeme ne sera si grand, si noble, si veritablement digne du nom de
poeme, que celui qui aura ete ecrit uniquement pour le plaisir d'ecrire
un poeme."

Gautier berauscht sich an der Idee der Autonomie der Kunst in ihrer
Anwendung auf die Poesie. Dadurch ist Poesie als echte Kunst so
grundverschieden von der Wissenschaft und deren Ziel, der Wahrheit
— so versucht Gautier, sich und uns zu suggerieren — daß sie nicht die
Wirklichkeit zum Inhalt hat, wie dies von jeglicher Wissenschaft gilt,
und daß sie überhaupt keinen Gegenstand hat als sich selbst. So ruft er
ekstatisch uns zu:

„La poesie ne peut pas, sous peine de mort ou de decheance, s'assi-
miler ä la science ... Elle n'a pas la veritee pour object, eile n'a qu'elle
meme." Dies sind Gautiers eigene Worte in der Einleitung im Jahre
1868. Und wenn man im allgemeinen auch Tagebuchaufzeichnungen
Dritter über Gespräche nicht als ebenso authentische Quellen ansehen
darf wie die Publikationen eines Autors, so haben wir keine Veranlas-
sung, dem Bericht der Brüder Goncourt über Gautier zu mißtrauen, da
er, dem Sinne nach, mit Gautiers Beaudelaire-Einleitung völlig über-
einstimmt.

Zu Taine —der zwei Jahre später seine Vorlesungen zur Philosophie
der Kunst veröffentlichte — sprach, so berichten die Goncourts, Gautier
im Jahre 1863 die warnenden Worte, die so bezeichnend sind für den
Sprecher und für den, an den sie gerichtet waren:

„Taine, Sie scheinen der bürgerlichen Idiotie zu verfallen, Gefühl
von der Poesie zu verlangen ... darauf kommt es überhaupt nicht an.
Glänzende Worte, Lichtworte, voll Rhythmus und Musik, das ist Poesie.
Das beweist nichts und erzählt nichts. Dem Anfang von Hugo Rat-
 
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