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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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Kainz, Friedrich: Sprachphilosophie und Ästhetik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0156
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BEMERKUNGEN

Ausdrucksfunktion die anderen Leistungen der Sprache (Auslösung, Sachbezeich-
nung, Mitteilung) zu kurz kämen. Das „genus proximum", von dem aus sich Stenzeis
Wesensbetrachtung der Sprache nähert, sind die außersprachlichen Möglichkeiten des
hörbaren Ausdrucks, die an der unteren Grenze des Sprachlichen angesiedelten Ge-
bilde akustischer Art wie die emotional-exklamativen Ausrufe des Gefühls, Schreien,
Stöhnen, Seufzer und sonstige Lautgesten. Ferner wird sie in die Nachbarschaft jener
der Verständigung dienenden kinästhetischen Gestalten gerückt, jener vielbesagenden
Gesten, in denen ein mannigfacher Sinn sich erstaunlich übersichtlich darstellt und
die wie die Sprache dem Urbedürfnis nach Ausdruck entspringen. Auf die Einbet-
tung der Sprache in verschiedene Möglichkeiten des menschlichen Ausdrucks kommt
es ihm an; die umfassende Einheit des menschlichen Ausdrucks, die alle seine
Weisen miteinander verknüpft, ist das philosophische Problem, das dem Verfas-
ser zunächst wichtig wird. Hier bietet er in den Abschnitten „Musik und Sprache",
„Lautgeste und Sprachmelodie", „Rhythmus, Gliederung und Objektivierung" eine
Reihe wertvoller Einsichten in Sachverhalte, die von jeher als Hauptthema der
Ästhetik und vergleichenden Kunstwissenschaft angesehen wurden, wie denn der
Verfasser andererseits bei Betrachtung der genannten Gebiete von der ästhetischen
Forschung wichtige Förderung erfahren hat: so etwa im zweiten der eben angeführten
Kapitel durch die Arbeiten zur Sprachmelodik, die Rutz und Sievers veröffentlicht
haben. Seine von innen nach außen gerichtete Betrachtung — „Ausdruck ist nur erfaß-
bar im Rückgang auf das Innere, das seine Erscheinung bestimmt" — nimmt den
Weg über gewisse ästhetische Gebilde und sucht die Grundsachverhalte zu erfassen,
die begrifflich zum Wesen des Tanzes, der Musik und der Sprache gehören. Die Aus-
drucksfunktion der Sprache wird vom musischen Urkunstwerk her verstanden und
von der sich in diesem schöpferisch auswirkenden expressiv-exklamativen, tänzerisch-
musikalischen Grundsituation.

Ist die Abstellung der sprachphilosophischen Betrachtung auf die Grundtatsache
des Ausdrucks das eine Band, das Stenzeis Arbeit mit der Ästhetik verknüpft, so
wird eine andere enge Verbindung durch die Kategorie „Gestalt" hergestellt. Die
Sprache ist für Stenzel ein „Gestaltphänomen" und als Gestalttheoretiker geht er an
die Wesensbetrachtung der Sprache heran. In einem vorbereitenden Abschnitt faßt er
in bündigen Sätzen die wichtigsten Ergebnisse der modernen Gestalttheorie zusam-
men, sichtlich bemüht, dabei seine Stellung über den einzelnen Partei- und Schul-
standpunkten (der Gestaltpsychologie im engsten Sinn, der Gestalttheorie der Denk-
psychologen, der Strukturpsychologie usw.) zu wahren. Am nächsten scheint er mir
der Produktionstheorie der Grazer (Meinong, Benussi, Witasek) zu kommen, wenn
er von der Gestalt, die als neues Ganzes über den sie fundierenden Elementen steht,
aussagt, sie bestünde für das erlebende Bewußtsein durch einen neuen Erlebnisakt,
der von dem Wahrnehmen und Erleben der einzelnen Elemente getrennt werden kann:
„die einzelnen Elemente können immer auch als einzelne wahrgenommen werden, ob-
wohl in den meisten Fällen die Erlebnisse der einzelnen Elemente faktisch in den Akt
der Gestaltauffassung aufgehoben sein mögen. Also beruht dieser synthetische gestal-
tende Akt auf einer besonderen Blickwendung, einer ,Produktion', auf Grund einer
besonderen sachgerichteten Aufmerksamkeit." Von hier aus kommt es zu einer Reihe
guter Bemerkungen über Raum- und Zeitgestalten, raumzeitliche Transformation
usw., die alle für eine Theorie des ästhetischen Gegenstandes von Bedeutung werden
können. „Wenn ein einzelner ,schöner' Ton, ein ,rein' erklingender Akkord bereits
als musikalisches Gebilde aufgefaßt wird, dann nur in Hinblick auf seine Verwend-
barkeit in jenem eigentlich musikalischen Gebilde der Melodie. Diese entspricht in
jedem Sinn dem Satz, in dem erst die einzelnen Worte ihre Bestimmtheit erlangen;
 
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