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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0182
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BESPRECHUNGEN

christlichen Poesie — allein das Menschliche darstellungswürdig ist, ist „fast natur-
feindlich". Auch für ihn hat die Natur, wenn er überhaupt Naturhaftes erwähnt, nur
einen Vergleichswert; eine ganzheitliche Landschaftsdarstellung fehlt ihm. Erst mit
den späten Gedichten Walthers von der Vogelweide setzt der „Umschwung zugun-
sten des primitiven Naturgefühls" ein, in dem sich Liebes- und Naturerlebnis zu
einem unzertrennlichen Stimmungseindruck verschmelzen. In den Volksliedern des
14. und 15. Jahrhunderts findet dann dieses „gemütvolle Naturgefühl" seinen innig-
sten und zartesten Ausdruck. Aber auch schon in der deutschen Mystik weist B. die
„Verinnerlichung und Beseelung des Naturgefühls" nach: Naturliebe und Gottesliebe
speisen sich aus einem gemeinsamen seelischen Quell, die religiöse Vertiefung „be-
deutet zugleich eine Erweiterung auch des Gesichtskreises für Natur überhaupt", und
die mystische Lehre von der Natur als Gotteswerk („fast bis zu einer Identität zwi-
schen Gott und Natur geführt") schafft die geistige Grundlage für ein neues Verhält-
nis zur Natur: „Man erfühlt sie anders, und man vergegenwärtigt und sieht sie auch
anders". Zugleich schwindet dabei auch jene „Autonomie des Menschen", die für die
bildende Kunst des frühen Mittelalters das „Monopol der Gestalt" begründet und der
Natur eine ganz untergeordnete Bedeutung zugewiesen hatte. „Die Welt des Kleinen
und Niedrigen bricht in das Gebiet der Kunst ein." Und so gilt nun im zweiten Teil
seiner Arbeit Böheims Aufmerksamkeit ebenso der Landschaftsdarstellung der deut-
schen Malerei wie der deutschen Dichtung des Spätmittelalters — immer mehr aller-
dings mit Beschränkung auf Deutschland, so daß ebenso die französisch-burgundische
Entwicklung wie die italienische Frührenaissance außer Betracht bleibt. Sehr fein
beobachtet der Verfasser, wie sich die erstarrten, schablonenhaften Zeichen mittel-
alterlicher Landschaftsandeutungen, vor allem bestimmte herkömmliche Formen von
Fels und Baum, seit dem 13. und 14. Jahrhundert wieder mit räumlicher Wirklich-
keit erfüllen, wie die Freude an der Vergegenwärtigung, an der ganzen gegenständ-
lichen Fülle der bunten Welt allmählich über die figurenreichen „Wanderlandschaften"
und „Sammellandschaften" zur Darstellung der „freien, räumlich gesehenen Land-
schaft um ihrer selbst willen" führt, auch ohne menschliche Staffage und nicht mehr
als Symbol, sondern als Wirklichkeit gesehen, und schließlich, auf dem Höhepunkt
deutscher Landschaftskunst um 1500, als Verkündung unergründlicher seelischer Stim-
mungen. Von der Miniaturenkunst der Handschriften über die Anfänge der Tafel-
malerei bis zu Dürer, Altdorfer und der „Romantik des ausgehenden Mittelalters" ver-
folgt B. diese Entwicklung mit vielen treffenden und klärenden Beobachtungen. Beson-
ders eingehend beschäftigt er sich mit Dürers Studienblättern und Landschafts-
aquarellen (auch mit ihrer chronologischen Ordnung), in denen der mittelalterliche
„Intellektualismus" am vollkommensten aufgehoben ist durch die „unbedingte Hin-
gabe an das Augenbild". In diesen Landschaftsskizzen ist aber Dürer, anders als in
seinen Gemälden, auch nicht von jenem „gemütvollen Naturgefühl" bestimmt — „und
dieses ist das uns Deutschen eigentümliche Naturgefühl" —, das sich in den Gemäl-
den seiner deutschen Zeitgenossen zum Traum- und Märchenhaften steigert, zur Auf-
hebung der Grenze zwischen Ich und Natur, Seele und Sein, das dann aber auch in
der deutschen Malerei durch den Einbruch der italienischen Renaissancekunst mit
ihrem neuen „Monopol der Gestalt" verdrängt wird: „Das Evangelium der neuen
Kunst ließ den tief eingewurzelten nordischen künstlerischen Trieb (der Landschafts-
kunst) wieder einschlafen". — Mit alledem sind nur die Grundzüge der Gedanken-
führung dieses Buches angedeutet, dessen Fülle an klugen Beobachtungen sich einer
zureichenden Inhaltsangabe entzieht. Die Kunstgeschichte wie die Literatur- und
Geistesgeschichte kann ihm eine Menge wertvoller Hinweise und Anregungen entneh-
men, auch wenn sie sich nicht alle Formeln zu eigen macht, zu denen der Verfasser
 
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