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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0282
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268

BESPRECHUNGEN

Rudolf Schwinger und Heinz Nicolai: Innere Form und dich-
terische Phantasie. Zwei Vorstudien zu einer neuen deutschen Poetik.
München, Beck, 1935. 166 S. RM- 7.50.

Unter obigem Titel hat Karl Justus Obenauer zwei bei ihm in Göttingen
gearbeitete Dissertationen, die unabhängig voneinander entstanden, aber stofflich eng
zusammengehören, da sie sich von zwei Seiten her mit der Entstehungsfrage des dich-
terischen Kunstwerks beschäftigen, in einem Buche vereinigt. Beide Untersuchungen
sind Begriffen gewidmet, ohne deren erneute und sicherere Klärung, wie Obenauer
sagt, kein Weiterkommen in der deutschen Literaturwissenschaft möglich ist.

Schwingers Untersuchung: „Innere Form. Ein Beitrag zur Definition des
Begriffes auf Grund seiner Geschichte von Shaftesbury bis W. v. Humboldt" unterzieht
diese wichtigste Entwicklungszeit des behandelten Begriffs einer eindringenden
Analyse. Ausgehend von Shaftesburys noch nicht auf die Kunst übertragenem Begriff
der inward form zeigt der Verfasser all die Wandlungen, Verschiebungen und Ergän-
zungen der Inneren Form im kunstphilosophischen Denken bis zu W. v. Humboldt hin
auf. Vielfach von Plotinischen Gedanken beeinflußt, erfährt der kunstphilosophische
Begriff der Inneren Form etwa durch den englischen Neuplatoniker J. Harris, durch
Winckelmann, Herder, Goethe, Moritz, Schiller, Chr. G. Körner, A. W. und Fr. Schle-
gel, Schleiermacher, Schelling, W. v. Humboldt mannigfache Deutung und Bestim-
mung. Die sich wertvoll ergänzende Verschiedenheit des Sinnes, den der Begriff hier
und dort erhält, bzw. die Erfassung seiner verschiedenen möglichen Seiten wird in
großen Zügen schon an den Kapitelüberschriften Innere Form als Einheit von Gehalt
und Gestalt, Innere und organische Form, Innere Form als ideelle Existenz, als Ge-
setz, als allgemeine Form in Sprache, Natur und Kunst, Die symbolische Bedeutung
der inneren Form deutlich. Freilich können diese Leitworte nur einen oberflächlichen
Eindruck geben von dem hohen analytischen Geschick, mit dem der Verfasser diese
in den Quellen oft wenig scharfen Begriffslinien herausgearbeitet hat zu dem geschlos-
senen Bilde einer wenngleich vielfältigen, so doch im wesentlichen klaren Begriffs-
entwicklung.

Im Gegensatz zu der Schwingers versucht Nicolais Untersuchung: „Wilhelm
Dilthey und das Problem der dichterischen Phantasie" eine Begriffsanalyse an dem
Gedankenwerk nur eines Denkers; die Vielseitigkeit aber dieses Denkers läßt auch
hier die Arbeit des Interpreten und Kritikers ungemein reichhaltig und fruchtbar
werden. Nicolais Darlegungen arbeiten mit Geschick die Überzeugung Diltheys her-
aus, „daß ... eine Erörterung des Phantasieproblems in prinzipielle Fragen der Lite-
raturwissenschaft hineinführen muß, daß die Erkenntnis der schöpferischen Bildungs-
vorgänge nicht nur als psychologisches Problem an sich von Bedeutung ist, sondern
ebensosehr für das Verständnis der künstlerischen Individualitäten wie der stilistischen
Eigenart der Kunstwerke" und untersuchen weiter, „wieweit Diltheys Methode in ihrem
grundsätzlichen Charakter fruchtbar gewesen ist". So wird über die Erörterung der Be-
griffe Erlebnis, Genie in Diltheys Sinn und seine Auffassung vom Zusammenhang des
Seelenlebens hinweg, die der Verfasser mit Felix Kruegers Strukturlehre vergleicht,
das Wesen der dichterischen Phantasie beleuchtet und begrifflich zergliedert. Es er-
geben sich Fragen wie: Phantasie und Erinnerung, Phantasie und Gefühl: Entfal-
tung und Spontaneität, Phantasie und Verstand: Bewußtes und Unbewußtes im Phan-
tasieschaffen, Phantasie und Wille: die Problematik der Phantasie. Ein Überblick über
die geschichtliche Stellung der Diltheyschen Ergebnisse schließt die Untersuchung ab.

Nicolais Darlegungen wollen dem gegenwärtig sich wieder stark regenden
„Verlangen nach näherer Abgrenzung der literarischen Gattungen und ihrer objek-
 
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